Bible in 90 Days
Bildad: Wer Gott die Treue bricht, hat keine Hoffnung mehr!
8 Da entgegnete Bildad aus Schuach:
2 »Wie lange willst du noch so weiterreden?
Wann hörst du auf, hier so viel Wirbel zu machen? Es sind doch nur leere Worte!
3 Verdreht Gott, der Allmächtige, etwa das Recht?
Meinst du, dass er sein Urteil jemals widerruft?
4 Deine Kinder müssen gegen ihn gesündigt haben,
darum hat er sie verstoßen und bestraft;
sie haben bekommen, was sie verdienten.
5 Du aber solltest unermüdlich nach Gott suchen
und zum Allmächtigen um Gnade flehen.
6 Wenn du aufrichtig und ehrlich bist,
dann wird er sich noch heute um dich kümmern
und dir Haus und Hof wiedergeben, wie du es verdienst.
7 Was du früher besessen hast,
wird dir gering erscheinen, verglichen mit dem,
was Gott dir schenken wird!
8 Schau doch nur auf die früheren Generationen,
und achte auf die Weisheit unserer Väter!
9 Denn unser Leben währt nur kurze Zeit.
Wir wissen gar nichts;
wie ein Schatten huschen unsere Tage vorüber.
10 Aber die Alten können dich
aus ihrer reichen Erfahrung belehren.
Sie sagten:
11 ›Die Papyrusstaude steht nur dort,
wo Sumpf ist,
und ohne Wasser wächst kein Schilf.
12 Noch ehe es emporwächst,
ehe man es schneiden kann,
ist es schon verdorrt!‹
13 Genauso geht es dem, der Gott vergisst;
wer ihm die Treue bricht, hat keine Hoffnung mehr.
14 Worauf er sich stützte, das zerbricht,
und seine Sicherheit zerreißt wie ein Spinnennetz.
15 In seinem Haus fühlt er sich sicher,
aber es bleibt nicht bestehen;
er klammert sich daran, findet aber keinen Halt.
16 Zuerst wächst er auf wie eine Pflanze:
Voller Saft steht sie im Sonnenschein,
und ihre Triebe breiten sich im Garten aus.
17 Die Wurzeln verzweigen sich über die Steine
und finden einen Weg durch jede Ritze.
18 Doch ist die Pflanze mitsamt den Wurzeln einmal ausgerissen,
weiß keiner mehr, wo sie gestanden hat.
19 Wer Gott vergisst, dem geht es ebenso.
Von seinem Glück bleibt nichts mehr übrig,
und andere nehmen seinen Platz ein.
20 Vergiss es nicht:
Gott lässt einen Unschuldigen niemals fallen,
und einen Bösen unterstützt er nicht!
21 Er wird dich wieder lachen lassen
und dir Grund zum Jubel geben,
22 aber deine Feinde werden mit Schimpf und Schande überhäuft,
und ihr Haus wird vom Erdboden verschwinden!«
Hiob: Wie kann ein Mensch vor Gott sein Recht bekommen?
9 Hiob erwiderte:
2 »Das alles weiß ich doch schon längst!
Nur eins verrate mir:
Wie kann ein Mensch vor Gott sein Recht bekommen?
3 Wenn er dich vor Gericht zieht und Anklage erhebt,
weißt du auf tausend Fragen keine Antwort.
4 Gott ist weise, stark und mächtig!
Wer hat sich je erfolgreich gegen ihn gestellt?
5 Ohne Vorwarnung verrückt er Berge,
und wenn er zornig wird, zerstört er sie.
6 Er lässt die Erde zittern und beben,
so dass ihre Säulen wanken.
7 Er spricht nur ein Wort –
schon verfinstert sich die Sonne,
die Sterne dürfen nicht mehr leuchten.
8 Er allein hat den Himmel ausgebreitet,
ist über die Wogen der Meere geschritten.
9 Den Großen Wagen hat er geschaffen,
den Orion, das Siebengestirn
und auch die Sternbilder des Südens.
10 Er vollbringt gewaltige Taten;
unzählbar sind seine Wunder,
kein Mensch kann sie begreifen!
11 Unbemerkt zieht er an mir vorüber;
er geht vorbei, er streift mich,
und ich nehme es gar nicht wahr!
12 Niemand kann ihn hindern,
wenn er etwas aus der Welt rafft.
Wer wagt es, ihn zu fragen:
›Halt! Was tust du da?‹
13 Gott lässt seinem Zorn freien Lauf;
er unterwarf sich seine Feinde,
die dem Meeresungeheuer[a] halfen,
als es sich ihm widersetzte.
14 Und ich? Was kann ich denn erwidern,
mit welchen Worten ihm entgegentreten?
15 Auch wenn ich schuldlos wäre,
könnte ich ihm nichts entgegnen,
nein, ich müsste ihn als meinen Richter noch um Gnade anflehen!
16 Selbst wenn ich darauf drängte,
dass er mir endlich eine Antwort gibt,
würde er mich kaum beachten.
17 Im Gegenteil: Er würde im Orkan mich packen
und grundlos meine Qual vermehren.
18 Er gönnt mir keine Atempause
und sättigt mich mit Bitterkeit.
19 Wollte ich meine Kraft mit ihm messen –
er ist der Stärkere!
Aber es geht ums Recht!
Warum lädt er mich nicht vor,
damit ich mich verteidigen kann?
20 Selbst wenn ich recht hätte,
würde Gott mich zum Geständnis zwingen;
ich müsste mich vor ihm für schuldig erklären,
auch wenn ich schuldlos wäre.
21 Ja, ich bin unschuldig!
Aber es ist mir völlig gleichgültig,
so sehr hasse ich mein Leben!
22 Es ist alles einerlei; deshalb sage ich:
Egal ob du gottlos bist oder fromm –
er bringt dich doch um!
23 Und wenn sein Schlag plötzlich Unschuldige trifft,
dann spottet er noch über ihren Schmerz!
24 Fällt ein Land Tyrannen in die Hände
und werden alle Richter blind für das Recht,
so hat Gott das getan! Wenn nicht er – wer sonst?
25 Meine Jahre sind vorbeigeeilt,
schneller als ein Läufer,
verschwunden sind sie ohne eine Spur von Glück.
26 Sie gleiten dahin,
geschwind wie ein Boot,
sie fliegen rascher als ein Adler,
der sich auf die Beute stürzt.
27 Wenn ich mir sage: Jetzt will ich mein Klagen vergessen,
will glücklich sein und mich freuen,
28 dann packt mich doch die Angst,
dass meine Schmerzen wiederkommen.
O Gott, ich weiß es: Du hältst mich für schuldig!
29 Ich bin ja schon verurteilt –
wozu soll ich mich noch abmühen?
30 Wenn ich meine Hände mit Schneewasser wüsche
oder mit Lauge reinigte, als Zeichen meiner Unschuld,
31 dann würdest du mich doch in eine Jauchegrube tauchen,
dass sich selbst meine Kleider vor mir ekelten!
32 Wärst du ein Mensch wie ich,
dann könnte ich dir antworten!
Wir würden beide vor Gericht gehen,
damit der Streit entschieden wird.
33 Aber es gibt keinen, der zwischen dir und mir entscheidet
und für Recht sorgt[b].
34 Hör auf, mich zu bestrafen!
Halte deine Schrecken von mir fern!
35 Dann könnte ich endlich frei und furchtlos reden,
denn ich bin mir keiner Schuld bewusst[c]!«
Stell mich nicht als schuldig hin!
10 »Mein Leben ekelt mich an!
Darum will ich der Klage freien Lauf lassen
und mir die Bitterkeit von der Seele reden.
2 Gott, stell mich nicht als schuldig hin!
Erklär mir doch, warum du mich anklagst!
3 Gefällt es dir, dass du mich unterdrückst?
Warum verachtest du mich,
den du selbst so kunstvoll gebildet hast?
Die Pläne gewissenloser Menschen aber führst du zum Erfolg.
4 Hast du denn Menschenaugen?
Siehst du die Dinge nur von außen, so wie wir?
5 Sind deine Lebenstage auch begrenzt,
deine Jahre rasch vergangen so wie unsere?
6 Warum suchst du dann nach meiner Schuld
und hast es eilig, jede Sünde aufzuspüren?
7 Du weißt doch genau, dass ich unschuldig bin
und dass es keinen gibt, der mich aus deiner Hand befreit.
8 Deine Hände haben mich gebildet und geformt.
Willst du dich jetzt von mir abwenden und mich zerstören?
9 Bedenke doch, dass du mich wie Ton gestaltet hast!
Lässt du mich jetzt wieder zu Staub zerfallen?
10 Dir verdanke ich mein Leben:
dass mein Vater mich zeugte
und ich im Mutterleib Gestalt annahm.[d]
11 Mit Knochen und Sehnen hast du mich durchwoben,
mit Muskeln und Haut mich bekleidet.
12 Ja, du hast mir das Leben geschenkt
und mir deine Güte erwiesen;
deine Fürsorge hat mich stets bewahrt.
13 Aber tief in deinem Herzen denkst du anders;
in Wirklichkeit hast du dies beschlossen:
14 Auf jedes Vergehen willst du mich festnageln
und mich von meiner Schuld nicht mehr freisprechen.
15 Habe ich mich schuldig gemacht,
dann bin ich verloren!
Doch auch wenn ich im Recht bin,
kann ich nicht zuversichtlich sein,
denn man überhäuft mich mit Schande,
und mein Elend steht mir ständig vor Augen.
16 Will ich mich behaupten, jagst du mich wie ein Löwe
und richtest mich wieder schrecklich zu.
17 Einen Zeugen nach dem anderen lässt du gegen mich auftreten,
dein Zorn wird nur noch größer,
auf immer neue Art greifst du mich an.
18 Warum hast du zugelassen,
dass ich geboren wurde?
Wäre ich doch gleich gestorben –
kein Mensch hätte mich je gesehen!
19 Vom Mutterleib direkt ins Grab!
Ich wäre wie einer, den es nie gegeben hat.
20 Wie kurz ist mein Leben! Schon fast vergangen!
Lass mich jetzt in Frieden, damit ich noch ein wenig Freude habe!
21 Bald muss ich gehen und komme nie mehr wieder.
Ich gehe in ein Land, wo alles schwarz und düster ist,
22 ins Land der Dunkelheit und tiefen Nacht,
ein Land, in dem es keine Ordnungen mehr gibt,
wo selbst das Licht nur schwarz ist wie die Nacht.«
Zofar: Gottes Weisheit kannst du nicht begreifen!
11 Darauf erwiderte Zofar aus Naama:
2 »Soll diese Flut von Worten ohne Antwort bleiben?
Darf denn ein Schwätzer recht behalten?
3 Meinst du etwa, dein leeres Gerede verschlägt uns die Sprache?
Willst du weiter spotten,
ohne dass dich jemand zurechtweist?
4 Du sagst zu Gott:
›Meine Urteile sind völlig richtig!
In deinen Augen bin ich rein!‹
5 Hiob, ich wünsche nichts sehnlicher,
als dass Gott mit dir redet
6 und dir zeigt,
wie unendlich tief seine Weisheit ist!
Sie hat so viele Seiten!
Kein Mensch kann sie begreifen.
Glaub mir:
Gott sieht über viele deiner Sünden hinweg!
7 Kannst du die Geheimnisse Gottes erforschen
und die Vollkommenheit des Allmächtigen erfassen?
8 Der Himmel oben setzt Gott keine Grenze – dir aber allemal[e]!
Gott kennt die Welt der Toten unten in der Tiefe – du aber nicht!
9 Seine Größe überragt die Erde
und reicht weiter als das Meer!
10 Wenn er kommt,
dich gefangen nimmt und dann Gericht hält –
wer kann ihn daran hindern?
11 Nichtsnutzige Menschen kennt er ganz genau,
ihr böses Treiben entgeht ihm nicht.
12 Ein Hohlkopf kommt nicht zur Vernunft,
genauso wenig, wie ein Wildesel als Mensch geboren wird.
13 Hiob, fass einen klaren Entschluss:
Streck deine Hände empor und bete zu Gott!
14 Mach deinen Fehler wieder gut
und lass in deinen Zelten kein neues Unrecht geschehen!
15 Dann kannst du jedem wieder offen ins Gesicht sehen,
unerschütterlich und furchtlos stehst du im Leben deinen Mann!
16 Bald schon wird all dein Leid vergessen sein
wie Wasser, das versickert ist.
17 Dann kann dein Leben noch einmal beginnen
und leuchten wie die Mittagssonne,
auch die dunkelsten Stunden werden strahlen wie der lichte Morgen.
18 Dann hast du endlich wieder Hoffnung
und kannst zuversichtlich sein.
Abends siehst du noch einmal nach dem Rechten
und legst dich dann in Frieden schlafen.
19 Kein Feind schreckt dich auf – im Gegenteil:
Viele werden sich um deine Gunst bemühen.
20 Aber alle, die Gott missachten,
schauen sich vergeblich nach Hilfe um;
sie haben keine Zuflucht mehr!
Ihnen bleibt nur noch der letzte Atemzug.«
Hiob: Was ihr wisst, weiß ich auch!
12 Darauf entgegnete Hiob:
2 »Jawohl, ihr habt die Weisheit gepachtet,
und mit euch stirbt sie eines Tages aus!
3 Auch ich habe Verstand, genauso wie ihr;
ich stehe euch in nichts nach.
Was ihr sagt, weiß doch jeder!
4 Aber jetzt lachen sogar meine Freunde mich aus,
obwohl ich unschuldig bin
und keiner mir etwas Schlechtes nachsagen kann.
Früher hat Gott meine Gebete erhört.
Er gab mir Antwort, wenn ich zu ihm rief.
5 Wem es gut geht, der kann über das Unglück anderer spotten –
ein Schlag ins Gesicht für alle, die ohnehin schon stürzen.
6 Aber die Gewalttätigen bleiben unbehelligt.
Sie fordern Gott heraus,
sie meinen, ihn in der Hand zu haben,
und leben doch sicher und ungestört.
7 Von den Tieren draußen kannst du vieles lernen,
schau dir doch die Vögel an!
8 Frag nur die Erde und die Fische im Meer;
hör, was sie dir sagen!
9 Wer von diesen allen wüsste nicht,
dass der Herr sie mit seiner Hand geschaffen hat?
10 Alle Lebewesen hält er in der Hand,
den Menschen gibt er ihren Atem.
11 Soll nicht mein Ohr eure Worte prüfen,
so wie mein Gaumen das Essen kostet?
12 Man sagt, Weisheit sei bei den Alten zu finden
und ein langes Leben bringe Erfahrung.
13 Doch Gott allein besitzt Weisheit und Kraft,
nie wird er ratlos; er weiß, was er tun soll.
14 Was er abreißt, wird nie wieder aufgebaut,
und wenn er einen Menschen einschließt,
kann keiner ihn befreien.
15 Hält er den Regen zurück,
dann wird das Land von Dürre geplagt;
lässt er die Wasserfluten los,
dann wühlen sie es um.
16 Er allein besitzt Macht!
Was er sich vornimmt, das gelingt.
Gott hat beide in der Hand:
den, der sich irrt,
und den, der andere irreführt.
17 Königliche Ratgeber nimmt er gefangen;
erfahrene Richter macht er zu Narren.
18 Gefangene eines Königs befreit er,
doch den König selbst legt er in Fesseln.
19 Er führt die Priester weg mit Schimpf und Schande
und bringt alteingesessene Familien zu Fall.
20 Berühmten Rednern entzieht er das Wort,
den Alten nimmt er die Urteilskraft.
21 Fürsten gibt er der Verachtung preis,
und die Mächtigen macht er schwach.
22 Die Dunkelheit überflutet er mit Licht,
ja, die tiefsten Geheimnisse deckt er auf.
23 Er lässt Völker mächtig werden
und richtet sie wieder zugrunde;
er macht ein Volk groß und vertreibt es wieder.
24 Ihren Königen nimmt er den Verstand
und führt sie hoffnungslos in die Irre.
25 Im Dunkeln tappen sie umher
und torkeln wie Betrunkene.«
Wollt ihr für Gott Partei ergreifen?
13 »Das alles ist mir bestens bekannt!
Ich habe es mit eigenen Augen gesehen
und von anderen gehört.
2 Was ihr wisst, weiß ich auch,
ich stehe euch in nichts nach!
3 Aber ich will mit dem Allmächtigen reden,
vor ihm will ich mich verteidigen.
4 Ihr übertüncht ja die Wahrheit mit euren Lügen!
Kurpfuscher seid ihr allesamt!
5 Wenn ihr doch nur schweigen würdet,
dann könnte man euch noch für weise halten!
6 Hört jetzt, was ich zu meiner Verteidigung sage,
und gebt acht, wie ich meinen Fall vortrage!
7 Wollt ihr für Gott lügen
und mit falschen Aussagen für ihn eintreten?
8 Wollt ihr Partei für ihn ergreifen
und seinen Streit ausfechten?
9 Das kann doch nicht gutgehen!
Meint ihr, dass er sich täuschen lässt,
wenn er euch ins Verhör nimmt?
10 Zurechtweisen wird er euch,
weil ihr heimlich für ihn Partei ergreift!
11 Sein Erscheinen wird euch zu Tode erschrecken,
die Angst wird euch packen!
12 Eure tiefsinnigen Sprüche sind wertlos wie ein Häufchen Asche!
Eure Verteidigung zerbröckelt wie Lehm!
13 Schweigt jetzt! Ich will reden, komme, was da wolle!
14 Ich bin bereit, Kopf und Kragen zu riskieren,
ja, ich setze mein Leben aufs Spiel!
15 Gewiss wird Gott mich töten,
dennoch vertraue ich auf ihn,
denn ich will mein Leben vor ihm verantworten.
16 Schon das wird meine Rettung sein, denn wer mit Gott gebrochen hat,
darf gar nicht erst in seine Nähe kommen!
17 Hört jetzt genau zu, wenn ich meinen Fall klarstelle!
Achtet auf jedes Wort!
18 Ich habe mich auf die Verhandlung bestens vorbereitet
und bin sicher, dass ich recht behalte.
19 Kann mir jemand eine Schuld nachweisen?
Dann will ich schweigen und auf der Stelle sterben.
20 Aber zuerst habe ich noch zwei Bitten an dich, o Gott;
erfülle sie mir, damit ich dir überhaupt begegnen kann:
21 Nimm dieses schmerzhafte Leiden von mir
und die schreckliche Angst, mit der du mich plagst!
22 Rede du zuerst, dann werde ich antworten,
oder lass mich beginnen, und dann antworte du!
23 O Gott, sag mir: Wo bin ich schuldig geworden?
Welche Sünden habe ich begangen?
Wo habe ich dir die Treue gebrochen?
24 Warum ziehst du dich von mir zurück
und betrachtest mich als deinen Feind?
25 Warum verfolgst du mich und jagst mir Schrecken ein?
Ich bin doch nur ein welkes Blatt, ein dürrer Halm!
26 Ein bitteres Los hast du über mich verhängt;
du strafst mich sogar für die Sünden meiner Jugend.
27 Du legst meine Füße in Ketten,
beobachtest jede Bewegung
und bewachst mich auf Schritt und Tritt[f].
28 So zerfalle ich langsam wie ein Holz, das vermodert,
wie ein Kleid, das die Motten zerfressen.«
Gott, versteck mich doch bei den Toten!
14 »Wie vergänglich ist der Mensch!
Wie kurz sind seine Jahre!
Wie mühsam ist sein Leben!
2 Er blüht auf wie eine Blume –
und verwelkt;
er verschwindet wie ein Schatten –
und fort ist er!
3 Und doch verlierst du ihn nicht aus den Augen
und stellst ihn vor dein Gericht!
4 Du musst doch wissen, dass aus Unreinheit nichts Reines entsteht.
Wie sollte da ein Mensch vollkommen sein? Alle sind mit Schuld beladen![g]
5 Die Jahre eines jeden Menschen sind gezählt;
die Dauer seines Lebens hast du festgelegt.
Du hast ihm eine Grenze gesetzt,
die er nicht überschreiten kann.
6 So schau jetzt weg von ihm,
damit er Ruhe hat und seines Lebens noch froh wird,
wie ein Arbeiter am Feierabend!
7 Für einen Baum gibt es immer noch Hoffnung,
selbst wenn man ihn gefällt hat;
aus dem Stumpf wachsen wieder frische Triebe nach.
8 Auch wenn seine Wurzeln im Erdreich absterben
und der Stumpf langsam im Boden vertrocknet,
9 erwacht er doch zu neuem Leben,
sobald er Wasser bekommt.
Neue Triebe schießen empor wie bei einer jungen Pflanze.
10 Aber wenn ein Mensch gestorben ist,
dann ist er dahin.
Er hat sein Leben ausgehaucht. Wo ist er nun?
11 Wie Wasser, das aus einem See ausläuft,
und wie ein Flussbett, das vertrocknet,
12 so ist der Mensch, wenn er stirbt:
Er legt sich nieder und steht nie wieder auf.
Ja, die Toten werden niemals erwachen,
solange der Himmel besteht!
Nie wieder werden sie aus ihrem Schlaf erweckt!
13 O Gott, versteck mich doch bei den Toten!
Schließ mich für eine Weile dort ein,
bis dein Zorn verflogen ist!
Aber setz dir eine Frist und denk dann wieder an mich! –
14 Meinst du, ein Mensch wird wieder lebendig,
wenn er gestorben ist? –
Dann könnte ich trotz meiner Qualen auf bessere Zeiten hoffen
wie ein Zwangsarbeiter, der die Tage bis zu seiner Entlassung zählt.
15 Denn dann wirst du mich rufen, und ich werde dir antworten.
Du wirst dich nach mir sehnen,
weil du selbst mich geschaffen hast.
16 Meine Wege siehst du auch dann noch,
aber meine Sünden hältst du mir nicht mehr vor.
17 Was immer ich begangen habe,
verschließt du wie in einem Beutel,
meine Schuld löschst du für immer aus.
18 Doch selbst Berge stürzen und zerfallen,
Felsen rutschen zu Tal.
19 Wasser zermahlt die Steine zu Sand,
und Sturzbäche reißen den Erdboden fort.
Genauso zerstörst du jede Hoffnung des Menschen.
20 Du überwältigst ihn, zwingst ihn zu Boden;
mit entstelltem Gesicht liegt er da und stirbt.
Du schickst ihn fort – er kommt nie wieder.
21 Ob seine Kinder einst berühmt sind
oder ob man sie verachtet,
er weiß nichts davon.
Ihre Zukunft bleibt ihm völlig verborgen.
22 Er fühlt nur die eigenen Schmerzen
und trauert nur über sich selbst.«
Elifas: Du zerstörst die Ehrfurcht vor Gott!
15 Da antwortete Elifas aus Teman:
2 »Und du willst ein weiser Mann sein, Hiob?
Leere Worte! Du machst nichts als leere Worte![h]
3 Kein Weiser würde so reden wie du!
Wie du dich wehrst und zurückschlägst!
Das ist doch völlig nutzlos!
Was du sagst, hat keinen Wert!
4 Wenn du so weitermachst,
wird niemand mehr Ehrfurcht vor Gott haben,
niemand wird sich noch auf ihn besinnen.
5 Hinter vielen Worten willst du deine Schuld verstecken,
listig lenkst du von ihr ab!
6 Ich muss dich gar nicht schuldig sprechen –
du selbst tust es;
jedes deiner Worte klagt dich an.
7 Bist du als erster Mensch geboren worden,
noch ehe Gott die Berge schuf?
8 Hast du etwa Gottes geheime Beratungen belauscht und kennst seine Pläne?
Du meinst wohl, du hast die Weisheit gepachtet!
9 Was weißt du denn, das wir nicht auch schon wüssten;
was du begriffen hast, begreifen wir schon längst!
10 Hinter uns stehen alte, weise Männer,
die älter wurden als dein Vater.
11 Hiob, Gott will dich trösten!
Ist dir das gar nichts wert?
Durch uns redet er dich freundlich an.
12 Was erlaubst du dir!
Du lässt dich vom Ärger mitreißen,
aus deinen Augen sprüht der Zorn;
13 so ziehst du gegen Gott zu Felde
und klagst ihn erbittert an!
14 Welcher Mensch ist wirklich schuldlos,
wer kann vor Gott bestehen?
15 Selbst seinen Engeln vertraut Gott nicht,
in seinen Augen ist sogar der Himmel unvollkommen.
16 Wie viel mehr die Menschen:
Abscheulich und verdorben sind sie,
am Unrecht trinken sie sich satt,
als wäre es Wasser!
17 Hör mir zu, Hiob!
Ich will dir etwas erklären, was ich aus eigener Erfahrung weiß,
18 es stimmt auch mit den Worten der alten, weisen Männer überein.
Sie wiederum haben es von ihren Vätern gelernt,
19 denen damals das Land ganz allein gehörte,
von jedem fremden Einfluss unberührt[i].
20 Sie sagten: Der Gewalttäter zittert vor Angst,
er, der von Gott nichts wissen wollte,
hat nicht mehr lange zu leben.
21 Schreckensrufe gellen ihm in den Ohren,
mitten im Frieden wird ihn der Attentäter überfallen.
22 Er glaubt nicht mehr,
dass er der Finsternis entkommen wird.
Das Schwert des Mörders wartet schon auf ihn.
23 Auf der Suche nach Nahrung irrt er umher,
aber findet nichts.
Er weiß, dass bald sein letztes Stündlein schlägt.
24 Ihn packt das Grauen,
Verzweiflung überfällt ihn wie ein König,
der zum Angriff bläst.
25 Denn er hat Gott mit der Faust gedroht
und wagte es, den Allmächtigen zu bekämpfen.
26 Starrköpfig, wie er war,
rannte er gegen Gott an
mit seinem runden, dicken Schild.
27 Ja, er fühlte sich stark,
wurde selbstsicher und überheblich,[j]
28 aber er wird an verwüsteten Orten hausen,
in halb zerfallenen Häusern,
in denen es keiner mehr aushält,
die bald nur noch Ruinen sind.
29 Dieser Mensch wird seinen Reichtum nicht behalten,
und sein Besitz ist nur von kurzer Dauer.
30 Der Finsternis wird er nicht entrinnen;
er ist wie ein Baum,
dessen Zweige das Feuer versengt.
Gott spricht nur ein Wort,
und schon ist er nicht mehr da.
31 Wenn er auf Werte vertraut,
die nicht tragen,
betrügt er sich selbst,
nur Enttäuschung wird sein Lohn sein.
32 Früher, als er denkt,
wird Gottes Vergeltung ihn treffen.
Dann verwelkt er und wird nie wieder grünen.
33 Er gleicht einem Weinstock,
der die Trauben verliert,
und einem Ölbaum,
der seine Blüten abwirft.
34 So geht es allen, die Gott missachten:
Über kurz oder lang sterben sie aus.
Mit Bestechungsgeldern bauen sie ihr Haus,
aber ein Feuer wird alles verwüsten.
35 Sie tragen sich mit bösen Plänen,
Gemeinheiten brüten sie aus
und setzen Unheil in die Welt.«
Hiob: Ihr habt gut reden!
16 Hiob erwiderte:
2 »Ach, solche Worte habe ich schon oft gehört.
Ihr alle habt nur schwachen Trost zu bieten!
3 Hört dein hohles Geschwätz niemals auf?
Was reizt dich so, dass du mir ständig widersprechen musst?
4 Auch ich könnte reden so wie ihr,
wenn ich an eurer Stelle wäre!
Ich könnte euch dann schöne Vorträge halten
und weise mein Haupt schütteln.
5 Mit meinen Worten würde ich euch stärken
und euch mein Beileid aussprechen.
6 Doch wenn ich rede,
lässt mein Schmerz nicht nach,
und schweige ich,
so wird es auch nicht besser!«
Gott greift mich immer wieder an!
7 »O Gott, du hast mir meine Kraft genommen,
meine Familie und meinen Freundeskreis hast du zerstört.
8 Du hast mich gepackt –
schon das soll meine Schuld beweisen!
Meine Krankheit tritt als Zeuge gegen mich auf.
9 Gott ist mein Feind geworden,
er fletscht die Zähne,
zerreißt mich im Zorn
und durchbohrt mich mit seinen Blicken.
10 Auch die Menschen verbünden sich gegen mich.
Sie reißen ihr Maul gegen mich auf
und schlagen mir voller Hohn auf die Wange.
11 Gott hat mich bösen Menschen ausgeliefert;
Gottlosen bin ich in die Hände gefallen.
12 Ich lebte in Ruhe und Frieden,
aber Gott hat mich aufgeschreckt,
mich am Genick gepackt und zerschmettert.
Er hat mich zu seiner Zielscheibe gemacht,
13 seine Pfeile schießen auf mich zu.
Erbarmungslos durchbohrt er meine Nieren,
meine Galle tropft zu Boden.
14 Wunde um Wunde fügt er mir zu,
wie ein Soldat rennt er gegen mich an.
15 In Trauerkleidung sitze ich hier,
ich bin am Boden zerstört[k].
16 Ich habe dunkle Ringe um die Augen,
und mein Gesicht ist rot vom vielen Weinen,
17 obwohl ich kein Unrecht begangen habe
und mein Gebet aus reinem Herzen kommt.«
Ich rufe meinen Zeugen an!
18 »O Erde, bedecke mein Blut nicht,
lass meinen Hilfeschrei niemals verstummen!
19 Doch auch jetzt schon habe ich einen Zeugen hoch im Himmel;
der tritt für mich ein!
20 Meine Freunde verspotten mich,
darum schaue ich unter Tränen nach Gott aus.
21 Er wird mich freisprechen
und mir bei anderen Menschen Recht verschaffen.
22 Nur wenige Jahre habe ich noch zu leben,
bis ich den Weg beschreiten muss,
von dem es keine Rückkehr gibt.«
Ich habe keine Hoffnung mehr!
17 »Meine Kraft ist gebrochen,
meine Tage schwinden,
und auf mich wartet nur das Grab.
2 Ich muss mit ansehen,
wie man mich verspottet;
von allen Seiten werde ich bedrängt.
3 O Gott, bürge du selbst für mich!
Ich habe sonst keinen, der für mich eintritt!
4 Meinen Freunden hast du jede Einsicht verschlossen,
darum wirst du sie nicht triumphieren lassen.
5 Sie gleichen jenem Mann im Sprichwort,
der sein Vermögen an viele Freunde verteilt
und seine eigenen Kinder hungern lässt.
6 Ich bin dem Spott der Leute preisgegeben,
ja, man spuckt mir ins Gesicht!
7 Schmerz und Trauer haben mich fast blind gemacht;
ich bin nur noch ein Schatten meiner selbst.
8 Darüber sind aufrichtige Menschen hell entsetzt;
sie, die ein reines Gewissen haben, denken über mich:
›Wie gottlos muss der sein!‹
9 Und doch gehen sie ihren geraden Weg unbeirrbar weiter;
sie, die schuldlos sind, bekommen neue Kraft.
10 Kommt nur alle wieder her, ihr Freunde,
ich finde dennoch keinen Weisen unter euch!
11 Ach, meine Tage sind verflogen,
durchkreuzt sind alle Pläne,
die einst mein Herz erfüllten!
12 Meine Freunde erklären meine Nacht zum Tag!
›Das Licht ist nahe!‹, sagen sie,
während ich ins Finstere starre!
13 Ich habe nur noch das Grab zu erwarten;
in der dunklen Welt der Toten muss ich liegen.
14 Das Grab werde ich bald als ›Vater‹ begrüßen.
Die Verwesung nenn ich ›meine Mutter, liebe Schwester‹.
15 Wo ist meine Hoffnung geblieben, wo denn?
Sieht jemand von ihr auch nur einen Schimmer?
16 O nein, auch sie versinkt mit mir im Tode,
gemeinsam werden wir zu Staub!«
Bildad: Der Gottlose wird vom Unheil verfolgt
18 Nun ergriff Bildad aus Schuach wieder das Wort:
2 »Hör endlich auf mit dem Geschwätz, Hiob!
Komm zur Vernunft, damit wir dir etwas sagen können!
3 Warum stellst du uns als töricht hin,
hältst uns für dumm wie ein Stück Vieh?
4 Du zerfleischst dich selbst in deinem Zorn!
Soll das Land verwüstet werden,
sollen mächtige Felsen einstürzen,
nur damit du recht behältst?
5 Mach dir nichts vor:
Das Licht des Gottlosen wird erlöschen,
und seine Flamme lodert nicht mehr auf.
6 In seinem Zelt wird es dunkel,
seine Lampe erlischt.
7 Mit müden Schritten schleppt er sich dahin;
seine eigenen Machenschaften bringen ihn zu Fall.
8 Er wird sich im Netz verstricken,
in eine überdeckte Grube stürzen.
9 Er tritt in die Falle, und sie schnappt zu.
In Schlingen wird er sich verfangen.
10 Versteckt am Boden ist ein Strick für ihn gespannt,
auf seinem Weg wartet eine Falle.
11 Angst und Schrecken bedrängen ihn von allen Seiten,
sie verfolgen ihn auf Schritt und Tritt.
12 Das Unheil lauert ihm auf,
das Unglück wird ihn überfallen.
13 Eine furchtbare Krankheit frisst seine Glieder,
als Bote des Todes zehrt sie ihn aus.
14 Sie entwurzelt ihn aus seiner Heimat,
wo er sich sicher glaubte,
und treibt ihn zum König aller Schrecken – hin zum Tod.
15 Das Feuer wird in seinem Zelt wüten,
und man wird Schwefel auf sein Grundstück streuen.
16 Seine Wurzeln verdorren im Erdreich,
und seine Zweige sterben ab.
17 Die Erinnerung an ihn wird völlig ausgelöscht,
und bald denkt keiner mehr an ihn im ganzen Land.
18 Man wird ihn aus dem Licht ins Dunkle stoßen,
vom Erdboden verschwinden lassen.
19 Er wird weder Kind noch Enkel haben in seinem Volk,
von seiner Familie wird keiner überleben.
20 Über seinen Unglückstag wird jeder sich entsetzen.
In Ost und West packt alle, die es hören, kaltes Grausen.
21 Ja, so sieht das Ende böser Menschen aus!
So geht es dem, der Gott den Rücken kehrt!«
Hiob: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!
19 Da fragte Hiob:
2 »Wie lange wollt ihr mich noch quälen
und mich mit euren Worten verletzen?
3 Wie oft habt ihr mich schon beleidigt!
Schämt ihr euch nicht, mir so grausam zuzusetzen?
4 Denn wäre ich wirklich vom richtigen Weg abgeirrt,
müsste ich allein die Folgen tragen!
5 Wollt ihr euch etwa über mich erheben
und mir eine Schuld nachweisen?
6 Merkt ihr denn nicht,
dass Gott mir unrecht tut
und mich in seinem Netz gefangen hat?
7 Ich schreie: ›Hilfe!‹,
aber niemand hört mich.
Ich rufe aus Leibeskräften –
aber keiner verschafft mir Recht.
8 Gott hat mir den Weg versperrt,
ich komme nicht mehr weiter.
Meinen Pfad hat er in tiefe Dunkelheit gehüllt.
9 Ich war angesehen und geachtet,
aber er hat meine Krone weggerissen.
10 Zerschmettert hat er mich, bald muss ich gehen;
meine Hoffnung riss er aus wie einen Baum.
11 Ja, Gottes Zorn ist gegen mich entbrannt,
er behandelt mich als seinen Feind.
12 Vereint sind seine Truppen gegen mich herangerückt,
sie haben einen Weg zu mir gebahnt
und sich rings um mein Zelt aufgestellt.
13 Meine Familie hat Gott mir entfremdet;
die Freunde wollen nichts mehr von mir wissen.
14 Meine Nachbarn haben sich zurückgezogen,
alte Bekannte kennen mich nicht mehr.
15 Alle, die in meinem Hause Zuflucht fanden,
betrachten mich als einen Fremden.
Meine eigenen Mägde kennen mich nicht mehr!
16 Als ich einen Knecht rufen wollte,
gab er keine Antwort. Anflehen musste ich ihn!
17 Meine Frau erträgt meinen stinkenden Atem nicht mehr;
meine eigenen Geschwister ekeln sich vor mir!
18 Sogar Kinder lachen und spotten über mich;
sobald sie mich sehen, fangen sie an zu tuscheln!
19 Meine engsten Freunde verabscheuen mich jetzt;
sie, die mir am nächsten standen, lehnen mich ab!
20 Und ich?
Ich bin nur noch Haut und Knochen,
bin mit knapper Not dem Tod entkommen.
21 Barmherzigkeit! Habt Mitleid, meine Freunde!
Gottes Hand hat mich geschlagen!
22 Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut?
Habt ihr mich nicht schon genug gequält?[l]
23-24 Ach, würden doch meine Worte in einer Inschrift festgehalten,
in Stein gemeißelt und mit Blei noch ausgegossen,
lesbar für alle Zeiten!
25 Doch eines weiß ich: Mein Erlöser lebt;
auf dieser todgeweihten Erde spricht er das letzte Wort[m]!
26 Auch wenn meine Haut in Fetzen an mir hängt
und mein Leib zerfressen ist,
werde ich doch Gott sehen![n]
27 Ja, ihn werde ich anschauen;
mit eigenen Augen werde ich ihn sehen,
aber nicht als Fremden.
Danach sehne ich mich von ganzem Herzen!
28 Aber wenn ihr sagt:
›Wir wollen Hiob belauern
und etwas finden, das seine Schuld beweist!‹,
29 dann fürchtet euch vor dem Schwert,
vor dem Richterschwert Gottes,
der eure Schuld im Zorn bestrafen wird!
Dann werdet ihr erkennen,
dass es einen Richter gibt!«
Zofar: Unrecht Gut gedeiht nicht!
20 Nun fiel ihm Zofar aus Naama ins Wort:
2 »Jetzt muss ich dir etwas sagen, Hiob!
Ich kann nicht länger warten!
3 Dein Gerede beleidigt mich,
doch ich bin klug genug,
dir die passende Antwort zu geben!
4-5 Seit Urzeiten,
seit Gott den Menschen auf die Erde setzte,
gilt dieses eine Gesetz:
Die Freude des Gottlosen ist nicht von Dauer;
sein Glück währt nur für kurze Zeit!
Weißt du das nicht?
6 Steigt er auch in seinem Stolz bis in den Himmel auf
und reicht er mit dem Kopf bis an die Wolken,
7 wird er doch für immer vergehen,
genauso wie sein eigener Kot.
Wer diesen Menschen kannte, wird sich fragen:
›Wo ist er nur geblieben?‹
8-9 Er wird spurlos verschwinden wie ein Traum,
verfliegen wie ein flüchtiger Gedanke;
wo er wohnte, wird ihn keiner mehr erblicken.
10 Seine Söhne werden bei den Armen betteln gehen,
weil er sein Hab und Gut zurückerstatten musste.
11 Noch strotzt er vor Kraft,
doch bald wird er im Staube liegen.
12-13 Böses tun ist ihm ein Vergnügen, ein Leckerbissen,
den er sich auf der Zunge zergehen lässt,
den er lange im Mund behält,
um den Geschmack nicht zu verlieren.
14 Doch sobald er ihn verzehrt hat,
wird der Leckerbissen zu Schlangengift.
15 Das unrechte Gut, das er verschlingt,
muss er wieder erbrechen, weil Gott ihn dazu zwingt!
16 Was er so gierig in sich aufsaugt,
stellt sich als Schlangengift heraus;
ein Biss der Viper bringt ihn um.
17 Er wird nicht im Überfluss leben;
Ströme von Milch und Honig fließen nicht für ihn.
18 Was er sich mühevoll erworben hat,
muss er zurückgeben;
er darf es nicht genießen,
an seinem großen Gewinn kann er sich niemals freuen.
19 Denn er unterdrückt und beraubt die Armen;
Häuser, die er selbst nicht baute, reißt er an sich.
20 Seine Habgier, sie kennt keine Grenzen,
doch mit seinen Schätzen wird er nicht entkommen!
21 Nichts ist seiner Fressgier je entgangen,
doch wird sein Wohlstand nur von kurzer Dauer sein.
22 Auf der Höhe seiner Macht wird ihm angst und bange,
das Unglück trifft ihn mit voller Wucht.
23 Soll er sich doch den Bauch vollschlagen!
Irgendwann kommt Gottes Zorn auf ihn herab;
er lässt seine Schläge auf ihn niederregnen.
24 Wenn er dann um sein Leben läuft,
weil er dem Schwert entkommen will,
wird ihn einer mit dem Bogen niederstrecken.
25 Der Bogenschütze zielt auf ihn und schießt:
Ein Pfeil durchbohrt sein Herz
und tritt am Rücken wieder aus;
so stirbt er, voller Angst.
26 Seine angehäuften Schätze hat Gott fürs Unglück aufbewahrt;
ein Feuer wird sie verzehren,
das nicht von Menschenhand entzündet wurde.
Und wer in seinem Zelt noch überlebt,
dem wird es schlecht ergehen.
27 Der Himmel wird seine ganze Schuld enthüllen
und die Erde gegen ihn als Zeuge auftreten.
28 Was er im Laufe seines Lebens erworben hat,
wird in nichts zerrinnen,
wenn Gott in seinem Zorn Gericht hält.
29 Wer sich Gott widersetzt,
hat dieses Ende verdient.
Dieses unheilvolle Erbe hat Gott ihm zugedacht.«
Hiob: Wo bleibt denn Gottes Gerechtigkeit?
21 Da erwiderte Hiob:
2 »Ach, hört mir doch einmal zu!
Damit würdet ihr mich trösten!
3 Ertragt mich, wenn ich rede,
und spottet hinterher weiter, wenn ihr wollt!
4 Ich trage doch meine Klage nicht einem sterblichen Menschen vor,
darum habe ich allen Grund, ungeduldig zu sein!
5 Seht mich an! Lässt euch dieser Anblick kalt?
Verschlägt es euch da nicht die Sprache?
6 Ich bin bis ins Innerste aufgewühlt,
ich zittere am ganzen Leib,
wenn ich über dieser Frage grüble:
7 Warum bleiben die Gottlosen am Leben,
werden alt und immer mächtiger?
8 Ihre Kinder wachsen heran,
und auch ihre Enkel haben sie ständig um sich.
9 Gott hält jedes Unglück von ihren Häusern fern;
so leben sie in Frieden, ohne Angst.
10 Ihr Stier deckt die Kühe auf der Weide,
und diese kalben ohne Fehlgeburt.
11 Ihre Kinder spielen draußen;
sie springen herum wie die Lämmer,
die Jüngsten tanzen fröhlich umher.
12 Man singt zu Tamburin und Laute
und feiert beim Klang der Flöte.
13 Sie verbringen ihre Jahre glücklich und zufrieden
und sterben einen sanften Tod.
14 Und Gott?
›Lass mich in Ruhe!‹, sagen sie zu ihm.
›Ich will von dir nichts wissen
und nicht den Weg gehen, den du mir zeigst!
15 Wer ist schon Gott, dass ich ihm dienen sollte,
was bringt es mir, wenn ich zu ihm bete?‹ –
16 Und doch: Ihr Glück liegt nicht in ihrer Hand.
Von ihren üblen Reden halte ich mich fern! –
17 Wie oft geschieht’s denn,
dass ihr Licht verlöscht,
das Licht der Menschen, die Gott verachten?
Wie oft holt sie das Unheil ein?
Wann trifft sie jemals Gottes Zorn?
18 Wann endlich sind sie wie Spreu im Wind,
wie ein Strohhalm, den der Sturm wegwirbelt?
19 Ihr sagt: ›Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Gott straft stattdessen ihre Kinder!‹
Nein! Sie selbst sollen Gottes Strafe spüren!
20 Mit eigenen Augen sollen Übeltäter ihr Verderben sehen,
vom Zorn des Allmächtigen bis zur bitteren Neige kosten!
21 Denn was kümmert sie das Schicksal ihrer Kinder,
wenn ihr eigenes Leben abgelaufen ist?
22 Gott richtet selbst die höchsten Engel[o].
Wer unter uns will ihn da noch belehren?
23 Der eine stirbt, noch voll bei Kräften,
hat sicher und sorglos gelebt.
24 Seine Melkeimer flossen stets über von frischer Milch;
er selbst war gesund und wohlgenährt.
25 Der andere stirbt einsam und verbittert,
er hat sein Leben lang nicht eine Spur von Glück gesehen.
26 Nun liegen sie beide unter der Erde,
werden beide von Würmern zerfressen!
27 Ich weiß genau, was ihr jetzt denkt,
mit welchen Vorurteilen ihr mir unrecht tut!
28 Ihr sagt: ›Wo ist es geblieben, das Haus des Tyrannen?
Von der Bleibe der Gottlosen ist nichts mehr zu sehen!‹
29 Doch habt ihr noch nie mit Reisenden gesprochen,
die weit herumgekommen sind,
und noch nie gehört, was sie erzählten:
30 dass der Böse verschont wird,
wenn Gott in seinem Zorn Gericht hält?
Er kommt mit heiler Haut davon!
31 Wer sagt ihm ins Gesicht, was er getan hat?
Wer bestraft ihn, wie er es verdient? Keiner!
32 Nach seinem Tod wird er mit allen Ehren beigesetzt;
an seinem Grab hält man noch Ehrenwache!
33 Unübersehbar ist sein Leichenzug,
der ihn zur letzten Ruh’ geleitet,
und Heimaterde deckt ihn freundlich zu.
34 Wollt ihr mich mit blankem Schwindel trösten?
Jede Antwort, die ihr gebt, ist eine glatte Lüge!«
Elifas: Kehr wieder um zu Gott!
22 Ein drittes Mal ergriff Elifas aus Teman das Wort:
2 »Meinst du, dass ein Mensch für Gott von Nutzen ist?
Wer weise und verständig ist,
nützt doch nur sich selbst!
3 Machst du Gott damit eine Freude,
dass du dir nichts zuschulden kommen lässt?
Bringt es ihm Gewinn, wenn du ein tadelloses Leben führst?
4 Nicht wegen deiner Frömmigkeit
geht Gott mit dir ins Gericht
und zieht dich jetzt zur Rechenschaft,
5 nein, wegen deiner großen Bosheit!
Lang ist die Liste deiner Sünden!
6 Wenn dir dein Nachbar etwas schuldete,
dann hast du ohne Grund
sein einziges Gewand als Pfand genommen.
7 Dem Durstigen hast du kein Wasser gegeben
und dem Hungrigen das Brot verweigert.
8 Dabei bist du mächtig und angesehen;
dir gehört das Land, in dem du wohnst!
9 Witwen hast du mit leeren Händen weggeschickt
und den Waisenkindern ihre Bitten abgeschlagen.
10 Deshalb umgeben dich jetzt tödliche Gefahren
und packt dich Furcht und Entsetzen.
11 Deshalb ist es jetzt so dunkel um dich her,
dass du keine Handbreit sehen kannst,
deshalb überrollt dich jetzt die große Flut!
12 Schau dir die Sterne an dort oben –
Gott ist noch viel erhabener,
er überragt den Himmel!
13-14 Darum sagst du auch:
›Was weiß er schon?
Kann uns Gott gerecht beurteilen,
wenn dunkle Wolken ihm den Blick versperren?
In tiefer Finsternis verbirgt er sich,
er sieht uns nicht;
fern am Rand des Weltalls wohnt er!‹
15 Willst auch du die falschen Wege gehen,
die in alter Zeit gewissenlose Menschen schon gegangen sind?
16 Vorzeitig wurden sie aus dem Leben gerissen,
ihre Häuser wurden fortgespült von einer Flut.
17 Sie wagten es, zu Gott zu sagen:
›Geh mir aus dem Weg!‹
und: ›Was kann uns der Allmächtige schon tun?‹
18 Dabei war er es doch,
der in seiner Güte sie zu Wohlstand brachte! –
Doch ich will mich hüten, so wie sie zu reden! –
19 Gute und gerechte Menschen werden lachen
und sich freuen, wenn sie ihren Untergang sehen!
20 ›Jetzt ist unser Feind vernichtet‹, jubeln sie,
›und sein Besitz wurde ein Raub der Flammen!‹
21 Hiob, versöhn dich wieder mit Gott,
schließ mit ihm Frieden,
dann wird er dir sehr viel Gutes tun!
22 Gib wieder acht auf das, was er dir sagt,
und nimm dir seine Worte zu Herzen!
23 Wenn du zu Gott, dem Allmächtigen, umkehrst,
wird er dich aufrichten.
Halte alles Unrecht von deinem Haus fern!
24 Wirf dein kostbares Gold weg,
versenk es irgendwo im Fluss!
25 Dann ist Gott selbst dein kostbarer Schatz,
dann bedeutet er dir mehr als alles Gold und Silber.
26 Er wird die Quelle deiner Freude sein,
und du kannst wieder zu ihm aufschauen.
27 Wenn du zu ihm betest, wird er dich erhören;
und du wirst erfüllen,
was du ihm versprochen hast.
28 Deine Pläne werden gelingen;
hell strahlt das Licht über allen deinen Wegen!
29 Wenn andere am Boden liegen und du betest: ›Herr, stärke sie wieder!‹,
dann wird Gott die Niedergeschlagenen aufrichten.
30 Sogar einen schuldbeladenen Menschen wird Gott retten,
weil du mit reinem Herzen für ihn gebetet hast!«
Hiob: Wenn ich Gott nur finden könnte!
23 Hiob sagte:
2 »Auch heute muss ich bitter klagen,
schwer lastet Gottes Hand auf mir,
ich kann nur noch stöhnen!
3 Wenn ich doch wüsste, wo ich ihn finden könnte
und wie ich zu seinem Thron gelange!
4 Ich würde ihm meinen Fall darlegen
und alle Gründe nennen, die zu meinen Gunsten sprechen!
5 Ich wollte wissen, was er mir zur Antwort gibt,
und verstehen, was er mir dann sagt.
6 Würde er wohl alle Kraft aufbieten,
um mit mir zu streiten?
Nein! Er würde mir Beachtung schenken!
7 So könnte ich meine Unschuld beweisen,
und Gott würde mich endgültig freisprechen.
8 Doch ich kann ihn nirgends finden!
Ich habe ihn im Osten gesucht – er ist nicht dort,
und auch im Westen entdecke ich ihn nicht.
9 Wirkt er im Norden,
oder wendet er sich zum Süden hin,
sehe ich doch keine Spur von ihm;
nirgends ist er zu erblicken!
10 Doch er kennt meinen Weg genau;
wenn er mich prüfte, wäre ich rein wie Gold.
11 Unbeirrbar bin ich dem Weg gefolgt,
den er mir zeigte, niemals bin ich von ihm abgeirrt.
12 Ich habe seine Gebote nicht übertreten;
seine Befehle zu beachten, war mir wichtiger
als das tägliche Brot.
13 Aber Gott allein ist der Herr.
Was er sich vornimmt, das tut er auch,
und niemand bringt ihn davon ab.
14 So wird er ausführen,
was er über mich beschlossen hat;
und dieser Plan ist nur einer von vielen, die er bereithält.
15 Darum habe ich Angst vor ihm;
wenn ich darüber nachdenke,
packt mich die Furcht!
16 Ja, Gott hat mir jeden Mut genommen;
der Gewaltige versetzt mich in Angst und Schrecken!
17 Doch die Dunkelheit bringt mich nicht zum Schweigen,
diese tiefe Finsternis, die mich jetzt bedeckt.«
Schreiende Ungerechtigkeit!
24 »Warum setzt Gott, der Allmächtige,
keine Gerichtstage fest?
Warum muss jeder, der ihn kennt,
vergeblich darauf warten?
2 Mächtige verrücken die Grenzsteine
und erweitern so ihr Land;
sie rauben Herden und treiben sie auf die eigene Weide.
3 Den Esel eines Waisenkindes führen sie weg
und nehmen einer Witwe den Ochsen als Pfand.
4 Sie drängen die armen Leute beiseite;
die Bedürftigen müssen sich verstecken,
5 müssen draußen in der Steppe leben wie die Wildesel;
dort suchen sie nach etwas Essbarem für ihre Kinder.
6 Auf den Feldern sammeln sie das Futter,
und im Weinberg ihrer Unterdrücker halten sie Nachlese.
7 Ohne Kleidung verbringen sie draußen die Nacht;
nichts deckt sie in der Kälte zu.
8 Der Regen im Bergland durchnässt sie völlig;
sie kauern sich an Felsen,
weil sie sonst keinen Unterschlupf finden.
9 Der Witwe wird ihr Kind von der Brust gerissen,
und den Armen nimmt man ihren Säugling als Pfand.
10 Ohne Kleidung laufen sie herum,
sie arbeiten in der Getreideernte und hungern dabei!
11 In den Olivenhainen pressen sie das Öl,
im Weinberg treten sie die Kelter –
und leiden doch Durst!
12 In der Stadt stöhnen die Sterbenden.
Menschen werden umgebracht, laut schreien sie um Hilfe,
doch Gott zieht die Mörder nicht zur Rechenschaft!
13 Sie sind Feinde des Lichts.
Was hell und wahr ist, das kennen sie nicht;
nein, sie gehen ihm beharrlich aus dem Weg.
14 Noch vor dem Morgengrauen zieht der Mörder los,
er bringt den Armen und Wehrlosen um.
Wie der Dieb treibt er in der Nacht sein Unwesen.
15 Auch der Ehebrecher wünscht sich die Dämmerung herbei.
›Mich sieht keiner!‹, denkt er
und verhüllt sein Gesicht.
16 Ja, nachts brechen sie in die Häuser ein,
aber tagsüber halten sie sich versteckt.
Sie alle scheuen das Licht.
17 Tiefe Dunkelheit – das ist ihr Morgenlicht!
Mit den Schrecken der Nacht sind sie bestens vertraut.«
Gott hat doch das letzte Wort!
18 »Der Gottlose vergeht wie Schaum auf dem Wasser;
schwer lastet Gottes Fluch auf seinem Land.
Sein Weinberg verödet,
weil er ihn nicht mehr bearbeiten kann.
19 Sonne und Wärme lassen den Schnee im Nu verschwinden,
genauso reißt der Tod jeden Sünder plötzlich aus dem Leben.
20 Dann laben sich die Würmer an ihm;
sogar von seiner Mutter wird er vergessen[p].
Nie mehr wird jemand an ihn denken,
der Schuldige wird zerbrochen wie trockenes Holz.
21 Er hat die kinderlose Frau ausgebeutet,
der Witwe hat er nichts Gutes getan.
22 Solche Machthaber reißt Gott in seiner Kraft hinweg;
wenn er sich erhebt,
sind sie ihres Lebens nicht mehr sicher.
23 Mag sein, dass er sie in Ruhe lässt
und sie sich in Sicherheit wiegen –
er überwacht doch unablässig ihre Wege.
24 Nur für kurze Zeit stehen sie auf der Höhe ihrer Macht,
dann ist es vorbei mit ihnen.
Wie die Ähren werden sie gepackt und abgeschnitten.
25 Ja, so ist es!
Keiner kann mich Lügen strafen
und niemand meine Worte widerlegen!«
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