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Bible in 90 Days

An intensive Bible reading plan that walks through the entire Bible in 90 days.
Duration: 88 days
Hoffnung für Alle (HOF)
Version
Klagelieder 2:1 - Hesekiel 12:20

Der Zorn des Herrn hat Jerusalem getroffen

Ach, der Zorn des Herrn liegt über Zion
wie eine große, dunkle Wolke.
Wie ein Stern vom Himmel auf die Erde stürzt,
so verging Israels ganze Pracht.
Im Zorn hat Gott selbst seinen Tempel verworfen,
den Schemel, auf dem seine Füße einst ruhten.
Erbarmungslos hat er die Häuser und Dörfer zerstört,
in denen die Nachkommen von Jakob wohnten.
Die befestigten Städte Judas hat er niedergerissen
und seinem Zorn freien Lauf gelassen.
Über das Königreich hat er Schande gebracht
und die Mächtigen zu Boden gestürzt.
Der Herr hat Israel aller Macht beraubt.[a]
Als der Feind zum Angriff blies,
zog er seine schützende Hand zurück.
Er hat das Land in Brand gesteckt
wie ein loderndes Feuer,
das alles ringsum verzehrt.
Er spannte seinen Bogen und stellte sich auf,
die rechte Hand bereit zum Schuss.
Wie ein Feind hat er alle getötet,
die uns so lieb und teuer waren.
Zion bekam seinen glühenden Zorn zu spüren,
er goss ihn über die Häuser wie Feuer.

Der Herr ist Israels Feind geworden:
Er hat das Land in Schutt und Asche gelegt,
alle prächtigen Paläste hat er zertrümmert,
und die Städte machte er dem Erdboden gleich.
So stürzte er die Bewohner Judas
in immer tiefere Trauer und Leid.
Der Herr hat seinen Tempel niedergerissen,
als wäre er eine einfache Gartenhütte;
den Ort, an dem wir uns vor ihm versammelten,
hat er in seinem furchtbaren Zorn zerstört.
Den Festtagen und Sabbatfeiern hat er ein Ende bereitet
und selbst den König und die Priester verstoßen.
Nun will er von seinem Tempel nichts mehr wissen,
seinem heiligen Altar hat er den Rücken gekehrt.
Die Feinde ließ er bis in die Paläste eindringen,
die starken Mauern waren kein Hindernis mehr.
Überall hört man ihren Lärm und Geschrei,
selbst im Tempel klingt es laut wie an einem Fest.
Der Herr hat den Untergang Zions beschlossen,
kein Stein sollte auf dem anderen bleiben.
Und so spannte er die Messschnur über sie,
um sein vernichtendes Werk auszuführen.
Er riss Mauern und Schutzwälle nieder,
nun liegen sie allesamt in Trümmern da.
Die Stadttore machte er dem Erdboden gleich,
er brach die Riegel auf und zerschlug sie.
Unseren König und seine Beamten schleppte man fort,
sie müssen unter fremden Völkern ihr Leben fristen.
Es ist niemand mehr da, der uns die Weisungen Gottes verkündigt,
selbst die Propheten empfangen keine Visionen mehr vom Herrn.
10 Die erfahrenen Männer sitzen stumm am Boden,
das unsägliche Leid hat sie zum Schweigen gebracht.
Sie haben sich Staub auf den Kopf gestreut
und ihre Gewänder gegen Trauerkleider getauscht.
Auch die Mädchen von Jerusalem sind verzweifelt,
sie gehen mit gesenkten Köpfen umher.

11 Ich weine mir fast die Augen aus,
der Schmerz überwältigt mich,
und es bricht mir das Herz,
den Untergang meines Volkes mitzuerleben.
Ich musste zusehen, wie Säuglinge und kleine Kinder
auf den Plätzen der Stadt verhungerten.
12 »Ich habe Hunger! Ich habe Durst!«,
sagten sie flehend zu ihrer Mutter.
Dann brachen sie mitten auf der Straße zusammen
und blieben wie tödlich Verwundete liegen.
Ihre Mutter hielt sie in den Armen,
während ihr junges Leben erlosch.

13 Ach, Jerusalem, was soll ich dir sagen?
Hat es jemals ein solches Elend gegeben?
Wie kann ich dich nur trösten,
du geliebte Stadt meines Volkes?
So tief wie das Meer sind deine Wunden.
Wer könnte dich je wieder heilen?
14 Zwar haben deine Propheten dir geweissagt,
aber es war doch nichts als Lug und Trug;
sie deckten deine Schuld nicht auf
und wendeten das Unheil so nicht von dir ab.
Mit ihren Botschaften haben sie dich betrogen
und ein ums andere Mal in die Irre geführt.
15 Jerusalem, wer nun an dir vorübergeht,
hat nur noch Spott für dich übrig
und schüttelt bei deinem Anblick den Kopf.
Verächtlich lachend fragt einer den anderen:
»Ist das die Stadt, die als vollendete Schönheit galt,
eine Augenweide für die ganze Welt?«
16 Deine Feinde ziehen über dich her
und weiden sich an deinem Untergang:
»Wir haben sie vernichtet!«, höhnen sie.
»Auf diesen Tag haben wir lange gewartet,
und nun ist er endlich da,
wir haben unser Ziel erreicht!«
17 Der Herr hat seine Pläne ausgeführt
und hat die Drohung wahr gemacht,
die er seit langer Zeit verkünden ließ.
Erbarmungslos hat er dich zerstört,
er schenkte deinen Feinden den Triumph
und stärkte immer mehr ihre Macht[b].

18 Zion, schrei laut zum Herrn,
von jeder Mauer soll man es hören!
Lass Tag und Nacht die Tränen fließen
wie ein Bach, der niemals versiegt.
Hör nicht auf zu weinen,
ja, gönn dir keine Ruhe!
19 Steh mitten in der Nacht auf,
wenn alles außer dem Wächter noch schläft,
und flehe unermüdlich zu Gott um Hilfe.
Heb deine Hände zu ihm empor
und schütte dein Herz bei ihm aus!
Bestürme ihn mit deinen Bitten,
damit er das Leben deiner Kinder verschont,
die an allen Straßenecken verhungern.

20 Herr, sieh doch die Menschen,
über die du solches Leid gebracht hast!
Wie konnte es nur so weit kommen,
dass Frauen ihre geliebten Kinder essen?
Bis in deinen heiligen Tempel drang die Gewalt,
Priester und Propheten wurden dort totgeschlagen.
21 Kinder und Greise liegen auf den Straßen,
Mädchen und junge Männer aus meinem Volk –
sie alle durchbohrt vom Schwert der Feinde.
An dem Tag, als dein Zorn losbrach,
hattest du kein Mitleid mit ihnen,
sondern hast sie allesamt abgeschlachtet.
22 Meine Feinde hast du zusammengerufen,
sie eilten herbei wie zu einem Fest
und verbreiteten überall Angst und Schrecken.
Vor deinem Zorn, Herr, gab es kein Entrinnen!
Meine Kinder, die ich mit viel Liebe großzog,
sind nun dem Feind zum Opfer gefallen.

Hoffnung in der größten Not

Seht mich an – wie viel Elend muss ich ertragen!
Ich bin der Mann, den Gott mit seiner Rute schlägt.
Voller Zorn hat er mich fortgejagt
und immer tiefer in die Finsternis getrieben.
Gegen mich sind seine Hiebe gerichtet,
den ganzen Tag trifft mich seine strafende Hand.
Davon bin ich abgemagert und krank geworden;
all meine Knochen hat er mir zerschlagen.
Bitteres Leid und Trauer haben mich überwältigt,
Gott selbst hat mich darin eingeschlossen.
In völliger Dunkelheit lässt er mich zurück,
als wäre ich schon lange tot.
Mit schweren Ketten hat er mich gefesselt
und mein Gefängnis mit hohen Mauern umgeben.
Wenn ich schreie und um Hilfe rufe,
so verschließt er sich meinem Gebet.
Wohin ich mich wende, jeder Weg ist versperrt –
Gott lässt mich nicht entkommen!
10 Er hat mir aufgelauert wie ein Bär,
wie ein Löwe in seinem Versteck.
11 Er hat mich vom Weg abgedrängt,
mich zerfleischt und hilflos liegen lassen.
12 Er spannte seinen Bogen
und zielte mit seinen Pfeilen auf mich.
13 Immer wieder griff er in seinen Köcher
und schoss mir mitten durchs Herz.
14 Mein Volk verlacht mich Tag für Tag,
sie singen Spottlieder auf mich.
15 Gott reicht mir bittere Kräuter zu essen
und füllt mir den Becher mit Wermut.
16 Er gibt mir Steine statt Brot,
er tritt mich tief in den Staub.
17 Was Frieden und Glück ist, weiß ich nicht mehr.
Du, Herr, hast mir alles genommen.

18 Darum sagte ich: »Meine Kraft ist geschwunden,
und meine Hoffnung auf den Herrn ist dahin.
19 Meine Not ist groß, ich habe keine Heimat mehr.
Schon der Gedanke daran macht mich bitter und krank.
20 Und doch muss ich ständig daran denken
und bin vor lauter Grübeln am Boden zerstört.«

21 Aber eine Hoffnung bleibt mir noch,
an ihr halte ich trotz allem fest:
22 Die Güte des Herrn hat kein Ende,[c]
sein Erbarmen hört niemals auf,
23 es ist jeden Morgen neu!
Groß ist deine Treue, o Herr!
24 Darum setze ich meine Hoffnung auf ihn,
der Herr ist alles, was ich brauche[d].
25 Denn der Herr ist gut zu dem, der ihm vertraut
und ihn von ganzem Herzen sucht.
26 Darum ist es das Beste, geduldig zu sein
und auf die Hilfe des Herrn zu warten.
27 Und es ist gut für einen Menschen,
wenn er schon früh lernt, Schweres zu tragen.
28 Wenn Gott ihm die Last auferlegt,
soll er es annehmen und nicht aufbegehren.
29 Demütig beuge er sich tief in den Staub,
vielleicht gibt es ja noch Hoffnung für ihn.
30 Wenn man ihn schlägt, soll er die Wange hinhalten
und die Demütigung still ertragen.

31 Denn wenn der Herr einen Menschen verstößt,
dann tut er es nicht für immer und ewig.
32 Er lässt ihn zwar leiden, aber erbarmt sich auch wieder,
denn seine Gnade und Liebe ist groß.
33 Wenn er strafen muss, hat er keine Freude daran,
sondern das Leid seiner Kinder schmerzt ihn auch selbst.

34 Es gibt so viel Unrecht in diesem Land:
Die Gefangenen werden mit Füßen getreten,
35 vor den Augen des höchsten Gottes
bringt man Unschuldige um ihr Recht.
36 Vor Gericht wird gelogen und betrogen –
meint ihr etwa, der Herr sieht das nicht?
37 Wer kann etwas geschehen lassen,
wenn der Herr es nicht befiehlt?
38 Alles Glück haben wir ihm zu verdanken,
und genauso kommt das Unglück aus seiner Hand.
39 Solange wir leben, brauchen wir uns nicht zu beklagen.
Sind es nicht unsere Sünden, für die Gott uns bestraft?
40 Kommt, wir wollen unser Leben sorgfältig prüfen
und wieder zurückkehren zum Herrn!
41 Ihm wollen wir unsere Herzen öffnen,
zu unserem Gott im Himmel die Hände erheben:
42 »Herr, wir haben gesündigt und dir die Treue gebrochen –
und das hast du uns nicht vergeben!
43 Stattdessen hast du dich in Zorn gehüllt,
du hast uns verfolgt und erbarmungslos getötet!
44 In einer dichten Wolke hast du dich verborgen,
kein Gebet konnte mehr zu dir durchdringen.
45 Du hast dafür gesorgt, dass die Völker uns wie Dreck behandeln,
zum Abschaum der Menschheit sind wir geworden.
46 Unsere Feinde stecken die Köpfe zusammen
und zerreißen sich das Maul über uns.
47 Angst und Schrecken haben uns gepackt,
überall erlebten wir Zerstörung und Tod.«

48 Mein geliebtes Volk ist dem Untergang nahe,
darum muss ich hemmungslos weinen.
49 Unaufhörlich fließen meine Tränen.
Ich werde so lange keine Ruhe finden,
50 bis der Herr vom Himmel herabschaut
und unser Schicksal endlich beachtet.
51 Mir bricht das Herz, wenn ich sehe,
wie es den Frauen in der Stadt ergeht.
52 Ich habe meinen Feinden nichts getan,
doch sie haben mich gefangen wie einen Vogel.
53 Sie stürzten mich lebend in einen Brunnen
und warfen Steine auf mich herab.
54 Das Wasser schlug über mir zusammen,
und ich dachte schon: »Das ist das Ende!«

55 Da schrie ich zu dir um Hilfe, o Herr,
tief unten aus der Grube flehte ich dich an,
56 deine Ohren nicht vor mir zu verschließen.
Und wirklich: Du hast mich erhört!
57 Als ich rief, kamst du mir ganz nahe
und sprachst: »Fürchte dich nicht!«
58 Herr, du bist für mich eingetreten
und hast mein Leben gerettet.
59 Du weißt, wie viel Unrecht ich erleiden musste.
Herr, schaffe du mir nun Recht!
60 Du kennst die Rachsucht meiner Feinde
und die Pläne, die sie gegen mich schmieden.
61 Herr, du hast gehört, wie sie mich schmähen,
ihre finsteren Intrigen sind dir nicht verborgen.
62 Tagein, tagaus verhöhnen sie mich,
immer ziehen sie über mich her.
63 Sieh sie dir an und hör doch die Spottlieder,
die sie von früh bis spät über mich singen!
64 Ich bitte dich: Vergelte es ihnen, o Herr!
Gib ihnen den gerechten Lohn für ihre Taten!
65 Lass ihre Herzen hart und verblendet sein,
ja, möge dein Fluch über sie kommen!
66 Verfolge sie, bis dein Zorn sie trifft,
und lass sie von deiner Erde verschwinden!

Jerusalems Elend

Ach, das Gold hat seinen Glanz verloren,
stumpf und matt ist es geworden.
Die kostbaren Steine des Tempels
liegen verstreut an allen Straßenecken.
Die jungen Männer Zions,
für uns so wertvoll wie reines Gold,
werden nun verächtlich behandelt
wie gewöhnliches Tongeschirr.
Selbst Schakale säugen ihre Jungen,
aber die Mütter meines Volkes
sind grausam zu ihren Kindern
wie ein Strauß in der Wüste[e].
Der Säugling schreit vor Durst,
die Zunge klebt ihm am Gaumen.
Kleine Kinder betteln um Brot,
doch niemand gibt ihnen ein Stück.
Wer früher nur das Feinste aß,
bricht nun vor Hunger auf der Straße zusammen.
Wer früher auf purpurfarbenen Kissen schlief,
liegt jetzt mitten im stinkenden Dreck.

Mein Volk hat schwer gesündigt –
schlimmer noch als die Leute von Sodom,
die plötzlich und ohne menschliches Zutun
ein schreckliches Ende fanden.
Einst waren unsere Fürsten gesund und schön:
Ihre Zähne blitzten so weiß wie Schnee,
und ihre Wangen schimmerten rot wie Korallen,
ihre ganze Erscheinung glich einem funkelnden Juwel.[f]
Jetzt aber ist ihr Gesicht dunkel wie Ruß,
sie sind bis auf die Knochen abgemagert,
und ihr Körper ist so spindeldürr geworden,
dass man sie auf der Straße nicht wiedererkennt.
Wer vom Schwert der Feinde durchbohrt wurde,
hatte es sogar noch besser als jene, die überlebten.
Sie verhungerten und starben einen qualvollen Tod,
weil keine Ernte mehr eingebracht werden konnte.
10 Am Ende war die Not so groß geworden,
dass mein Volk weder aus noch ein wusste.
Liebevolle Mütter haben dann aus lauter Verzweiflung
ihre eigenen Kinder gekocht und gegessen!

11 Der Herr hat seinem Zorn freien Lauf gelassen
und die sengende Glut über uns ausgegossen.
Er hat in der Stadt Zion ein Feuer gelegt,
das sie bis auf die Grundmauern niederbrannte.
12 Was niemand für möglich gehalten hätte,
ist nun vor den Augen der Völker geschehen:
Die Feinde sind in Jerusalem eingezogen,
im Triumph schritten sie durch seine Tore.
13 Es musste so kommen wegen der Schuld der Propheten
und wegen der Sünden, die die Priester begingen:
Unschuldige Menschen haben sie umgebracht –
und das inmitten der Stadt!
14 Jetzt taumeln sie selbst durch die Straßen
wie Blinde, die ihren Weg nicht finden.
Ihre Kleider sind so mit Blut besudelt,
dass niemand sie zu berühren wagt.
15 »Aus dem Weg!«, ruft man ihnen zu.
»Ihr seid unrein! Aus dem Weg! Rührt uns nicht an!«
So müssen sie fliehen und irren umher.
Sogar in anderen Ländern sagt man:
»Bei uns können sie nicht bleiben!«
16 Der Herr hat sich von ihnen abgewandt
und sie eigenhändig aus dem Land vertrieben.
Niemand mehr erweist den Priestern Respekt
oder erbarmt sich über die alten Männer.

17 Wir warteten unentwegt auf Hilfe,
doch alles Hoffen war vergeblich!
Das Volk, nach dem wir Ausschau hielten,
konnte uns auch nicht retten.
18 Die Feinde verfolgten uns auf Schritt und Tritt,
niemand wagte sich mehr auf die Straße.
Unsere Tage waren gezählt, wir waren verloren,
jetzt war unser Ende gekommen!
19 Die Verfolger stürzten sich so schnell auf uns
wie ein Adler, der auf seine Beute herabstößt.
Auf der Flucht ins Bergland holten sie uns ein,
und in der Wüste lauerten sie uns auf.
20 Unseren König, den der Herr auserwählt hat,
haben sie uns genommen, und mit ihm unser Leben!
Dabei dachten wir, er würde uns vor den Völkern schützen
wie ein Schatten vor der glühenden Sonne.

21 Lacht nur schadenfroh, ihr Edomiter im Land Uz!
Der Kelch mit Gottes Zorn kommt auch zu euch!
Ob ihr wollt oder nicht, ihr müsst daraus trinken,
dann werdet ihr taumeln und nackt am Boden liegen.
22 Freue dich, Zion, deine Schuld ist gesühnt!
Gott wird dich nie mehr in die Gefangenschaft führen.
Aber eure Schuld, ihr Edomiter, bringt er ans Licht!
Ja, er wird euch zur Rechenschaft ziehen.

Herr, führe uns zurück zu dir!

Herr, vergiss nicht, was man uns angetan hat!
Sieh doch, wie wir gedemütigt werden!
Unser Grund und Boden gehört einem anderen Volk,
und in unseren Häusern wohnen jetzt Fremde!
Wir sind verlassen wie Waisenkinder,
unsere Mütter schutzlos wie Witwen!
Unser eigenes Trinkwasser müssen wir bezahlen,
und auch Brennholz bekommen wir nur gegen Geld.
Der Feind sitzt uns unbarmherzig im Nacken;
wir sind erschöpft, doch man gönnt uns keine Ruhe.
Wir unterwarfen uns den Ägyptern und Assyrern,
um genug Brot zu essen zu haben.
Unsere Vorfahren leben schon lange nicht mehr,
wir aber müssen nun für ihre Schuld bezahlen.
Sklaven sind zu Herrschern über uns geworden,
und keiner schützt uns vor ihrer Willkür.
Unter Lebensgefahr müssen wir nach Nahrung suchen,
denn Räuberbanden machen das ganze Land unsicher.
10 Wir sind vom Hunger ausgezehrt,
unsere Körper glühen vor Fieber.
11 In Zion haben sie unsere Frauen vergewaltigt,
in den Städten Judas vergingen sie sich an den Mädchen.
12 Sie haben die führenden Männer aufgehängt
und die Obersten all ihrer Ehre beraubt.
13 Unsere Männer müssen Korn mahlen wie Sklaven,
die Jungen brechen beim Holzschleppen zusammen.
14 Die Alten sitzen nicht mehr am Stadttor beieinander,
und die Jungen spielen keine Instrumente mehr.
15 Aus unserem Leben ist alle Freude verflogen,
das Singen und Tanzen ist zum Trauerlied geworden.
16 Wir haben unseren Ruhm und Glanz verloren;[g]
es ist aus mit uns, weil wir gegen Gott gesündigt haben.
17 Darum ist unser Herz traurig und krank,
und unsere Augen sind müde vom Weinen.
18 Denn der heilige Berg Zion ist verwüstet,
wilde Füchse streunen nun dort umher.

19 Aber du, Herr, regierst für immer und ewig,
ja, du bist König für alle Zeiten.
20 Warum hast du uns all die Jahre vergessen?
Willst du uns etwa für immer verlassen?
21 Herr, führe uns doch zurück zu dir,
damit wir zu dir umkehren können!
Lass unser Leben wieder so sein wie früher!
22 Oder hast du uns für immer verstoßen?
Hat dein Zorn über uns denn kein Ende?

Hesekiels Berufung zum Propheten (Kapitel 1–3)

Hesekiel sieht den Herrn in seiner Herrlichkeit

Im 30. Jahr[h] lebte ich mit den verbannten Judäern am Fluss Kebar in Babylonien. Am 5. Tag des 4. Monats öffnete sich plötzlich der Himmel über mir, und ich hatte eine Vision. –

2-3 Mit diesen Worten beginnt der Bericht des Propheten Hesekiel. Er war ein Sohn von Busi und stammte aus einer jüdischen Priesterfamilie. Fünf Jahre nachdem König Jojachin nach Babylon verschleppt worden war, wurde Hesekiel zum ersten Mal vom Herrn ergriffen[i]. Im Folgenden sind die Botschaften aufgeschrieben, die Gott ihm gab, während er am Fluss Kebar in Babylonien wohnte:

Ich sah von Norden einen Sturm heranbrausen, der eine große Wolke vor sich hertrieb. Blitze schossen aus ihr hervor, und ein heller Glanz umgab sie. Dann öffnete sich die Wolke, und aus ihrem Inneren strahlte ein Licht wie von glänzendem Metall.

In dem Licht erschienen vier lebendige Wesen, die wie Menschen aussahen. Doch jedes von ihnen hatte vier Gesichter und vier Flügel. Ihre Beine waren gerade wie die eines Menschen, aber statt der Füße hatten sie die Hufe eines Stieres, die wie polierte Bronze glänzten. Jede Gestalt besaß vier Hände, je eine Hand unter jedem Flügel. Mit ihren Flügeln berührten die Gestalten einander. Beim Gehen brauchten sie sich nie umzudrehen, denn in jede Richtung blickte eines ihrer Gesichter. 10 Jedes sah anders aus: Vorne war das Gesicht eines Menschen, rechts das eines Löwen, links das eines Stieres und hinten das eines Adlers. 11 Zwei ihrer Flügel hatten sie nach oben ausgespannt, und ihre Spitzen berührten die der anderen Gestalten. Mit den anderen zwei Flügeln bedeckten sie ihren Leib. 12 Sie gingen, wohin der Geist Gottes sie trieb, ohne sich je umzudrehen.

13 Zwischen den Gestalten bemerkte ich etwas, das wie glühende Kohlen aussah und wie Fackeln, die sich hin- und herbewegten. Das Feuer leuchtete, und Blitze schossen aus ihm hervor. 14 Die Gestalten liefen so schnell umher, dass sie selbst zuckenden Blitzen glichen.

15 Als ich sie genauer betrachtete, entdeckte ich vier Räder auf dem Boden – eines vor jeder Gestalt. 16 Sie schienen aus Edelsteinen zu bestehen. Alle vier waren gleich gebaut; mitten in jedes Rad war ein zweites im rechten Winkel eingefügt, 17 und so konnten sie in jede beliebige Richtung laufen, ohne zu wenden. 18 Die Felgen der Räder sahen furchterregend aus: Sie waren sehr groß und ringsum mit Augen bedeckt. 19 Wenn die vier Gestalten gingen, dann liefen auch die Räder mit; und wenn die Gestalten sich von der Erde erhoben, dann hoben sich auch die Räder. 20 Sie gingen, wohin Gottes Geist sie trieb, und die Räder bewegten sich mit ihnen, denn ein und derselbe Geist lenkte sie[j]. 21 Ganz gleich ob die Gestalten sich bewegten oder stillstanden oder sich erhoben – die Räder taten immer dasselbe.

22 Über den Köpfen der Gestalten entdeckte ich etwas, das aussah wie ein Gewölbe aus leuchtendem Kristall, und ich erschrak bei seinem Anblick. 23 Jedes der Lebewesen darunter hatte zwei seiner Flügel zu der Gestalt neben sich ausgestreckt; mit den beiden anderen Flügeln bedeckte es seinen Leib. 24 Wenn die vier sich bewegten, rauschten ihre Flügel wie das Brausen großer Wassermassen, ja, wie die Stimme des allmächtigen Gottes. Es war so laut wie die Rufe einer großen Menschenmenge oder der Lärm in einem Heerlager. Wenn die Wesen aber stillstanden, ließen sie ihre Flügel herabhängen.

25 Plötzlich hörte ich eine Stimme aus dem Gewölbe über ihnen, da blieben sie stehen und senkten ihre Flügel. 26 Oberhalb des Gewölbes über ihren Köpfen bemerkte ich so etwas wie einen Thron, der aus Saphir zu sein schien. Darauf saß eine Gestalt, die einem Menschen glich. 27 Von der Hüfte an aufwärts schimmerte ihr Leib wie Metall in einem Feuerkranz; unterhalb der Hüfte sah sie aus wie Feuer, umgeben von hellem Lichtglanz. 28 In dem Licht konnte ich alle Farben des Regenbogens entdecken. Es war die Erscheinung des Herrn in seiner Herrlichkeit. Bei ihrem Anblick fiel ich nieder und berührte mit meinem Gesicht den Boden. Dann hörte ich eine Stimme.

Hesekiel wird zum Propheten berufen

Jemand sagte zu mir: »Du Mensch, steh auf, ich will mit dir reden!« Noch während er dies sprach, erfüllte mich der Geist Gottes und richtete mich auf. Dann hörte ich die Stimme sagen:

»Du Mensch, ich sende dich zu den Israeliten, diesem widerspenstigen Volk, das sich immer wieder gegen mich auflehnt. Schon ihre Vorfahren haben sich von mir abgewandt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Starrköpfig und hartherzig sind sie, und doch sende ich dich gerade zu ihnen. Du sollst ihnen ausrichten: ›Hört, was Gott, der Herr, euch zu sagen hat!‹ Ob dieses widerspenstige Volk dann hört oder nicht – sie werden schon noch erkennen, dass ein Prophet unter ihnen war. Du aber, Mensch, fürchte dich nicht vor ihnen, hab keine Angst vor ihrem Spott! Ihre Worte verletzen dich wie Disteln und Dornen – ja, du lebst mitten unter Skorpionen. Trotzdem brauchst du dich nicht von ihnen und ihrem Gerede einschüchtern zu lassen! Sie sind eben ein gottloses Volk. Sag ihnen meine Botschaft, ob sie es hören wollen oder nicht. Du weißt ja, dass sie mir den Rücken gekehrt haben. Du aber, Mensch, hör mir zu! Lehn dich nicht auf wie dieses widerspenstige Volk! Öffne deinen Mund und iss, was ich dir gebe!«

Da sah ich eine Hand, die sich mir entgegenstreckte und eine Schriftrolle hielt. 10 Die Hand breitete die Schriftrolle aus: Sie war auf beiden Seiten beschrieben mit Klagen, Seufzern und Trauerrufen.

Gott sprach zu mir: »Du Mensch, nimm die Schriftrolle, die du vor dir siehst, und iss sie auf! Dann geh zum Volk Israel und rede zu ihnen!« Ich öffnete meinen Mund, und er gab mir die Rolle zu essen. Dabei sagte er: »Iss dieses Buch und füll deinen Bauch damit!« Ich gehorchte, und es schmeckte süß wie Honig. Dann sprach er zu mir:

»Du Mensch, geh zum Volk Israel und sag ihnen, was ich dir in den Mund lege. Ich sende dich nicht zu einem Volk mit fremder Sprache, die du nicht verstehst, sondern zum Volk Israel, deinen eigenen Landsleuten. Wenn ich dich zu anderen Völkern mit fremder Sprache schicken würde, und seien es noch so viele – sie würden trotzdem auf dich hören. Das Volk Israel aber wird deine Worte in den Wind schlagen, denn sie weigern sich, meine Weisungen anzunehmen. Das ganze Volk ist starrköpfig und hartherzig. Darum will ich dich genauso unbeirrbar machen wie sie, und ich gebe dir die Kraft, ihnen die Stirn zu bieten. Ja, ich mache dich unnachgiebig, härter noch als einen Kieselstein, hart wie einen Diamanten. Hab keine Angst vor diesem widerspenstigen Volk!«

10 Und weiter sprach er zu mir: »Du Mensch, achte auf alles, was ich dir sage, und nimm es dir zu Herzen! 11 Geh zu den Leuten aus deinem Volk, die nach Babylonien verschleppt worden sind, und richte ihnen aus, was ich, Gott, der Herr, ihnen sagen möchte – ganz gleich ob sie es annehmen oder nicht.«

12 Dann hob der Geist Gottes mich empor, und ich hörte hinter mir eine laute Stimme, die rief: »Preist die Herrlichkeit des Herrn in seiner himmlischen Wohnung!«[k] 13 Die Flügel der vier Gestalten rauschten und schlugen in der Luft aneinander, gleichzeitig rasselten die Räder neben ihnen; es dröhnte wie bei einem gewaltigen Erdbeben. 14 Der Geist Gottes, der mich emporgehoben hatte, trug mich nun fort. Ich war innerlich aufgewühlt und verstört, denn was der Herr mir gezeigt hatte[l], lastete schwer auf mir. 15 So kam ich zu den Verschleppten, die in Tel-Abib nahe beim Fluss Kebar wohnten. Sieben Tage lang saß ich dort in ihrer Mitte – wie betäubt von dem, was ich gesehen hatte.

Warne mein Volk!

16 Nach diesen sieben Tagen empfing ich eine Botschaft vom Herrn. Er sprach zu mir:

17 »Du Mensch, ich habe dich zum Wächter für das Volk Israel bestimmt. Du sollst mir gut zuhören, wenn ich dir eine Botschaft gebe, und die Israeliten in meinem Auftrag warnen!

18 Wenn ich einem gottlosen Menschen den Tod androhe, dann sollst du ihn ermahnen und zur Umkehr bewegen, um sein Leben zu retten. Tust du dies nicht, so wird er sterben, wie er es für seine Sünde verdient hat. Dich aber werde ich für seinen Tod zur Rechenschaft ziehen. 19 Wenn er sich jedoch trotz deiner Warnung nicht von seinen falschen Wegen abbringen lässt, dann ist er selbst schuld an seinem Tod. Du aber hast dein Leben gerettet.

20 Auch wenn sich ein rechtschaffener Mensch von mir abwendet und Unrecht tut, und du warnst ihn nicht, werde ich ihn zu Fall bringen. Ja, wegen seiner Sünde wird er umkommen, und das Gute, das er zuvor getan hat, wird vergessen sein. Dich aber werde ich für seinen Tod zur Rechenschaft ziehen. 21 Warnst du ihn jedoch davor zu sündigen, und er nimmt es sich zu Herzen, dann lasse ich ihn am Leben. Und auch du hast dein Leben gerettet.«

Hesekiel muss verstummen

22 Wieder wurde ich vom Herrn ergriffen. Er befahl mir: »Steh auf und geh hinaus ins Tal, denn dort will ich mit dir reden!«

23 Ich stand auf und ging ins Tal hinaus. Dort erblickte ich den Herrn in seiner Herrlichkeit, so wie ich ihn schon am Fluss Kebar gesehen hatte. Ich fiel nieder und berührte mit meinem Gesicht den Boden. 24 Da erfüllte mich der Geist Gottes und richtete mich wieder auf. Gott sprach zu mir: »Geh in dein Haus und schließ dich ein! 25 Dort wirst du, Mensch, wie mit Stricken gefesselt, damit du nicht mehr unter die Leute gehen kannst. 26 Ich lasse dir die Zunge am Gaumen kleben und mache dich stumm. Denn du sollst die Israeliten nicht mehr ermahnen können, dieses widerspenstige Volk. 27 Sobald ich aber wieder mit dir rede, löse ich deine Zunge; dann sollst du ihnen ausrichten: ›So spricht Gott, der Herr …‹ Wer es hören will, der soll hören; wer es nicht annehmen will, der lasse es bleiben! Denn sie sind nun einmal ein widerspenstiges Volk.«

Gott zieht Jerusalem und ganz Israel zur Rechenschaft (Kapitel 4–24)

Jerusalem wird belagert

»Du Mensch, nimm dir einen Ziegelstein, leg ihn vor dich hin und ritz die Umrisse der Stadt Jerusalem hinein! Mit diesem Stein sollst du vormachen, wie Jerusalem belagert werden wird: Schütte rings um ihn einen Wall auf, bau eine Angriffsrampe und setz von allen Seiten Rammböcke gegen die Mauer. Leg außerdem befestigte Heerlager rundherum an! Nimm dann ein Backblech aus Eisen und stell es als eiserne Mauer zwischen dich und den Stein mit der Stadt! Wende dich gegen die Stadt und tu so, als würdest du sie belagern! Auf diese Weise sollst du den Israeliten zeigen, was sie erwartet.

4-5 Dann leg dich auf die linke Seite als Zeichen dafür, dass du die Schuld des Volkes Israel auf dich nimmst! 390 Tage musst du am Boden liegen, denn genauso viele Jahre haben sie mich verlassen. Danach leg dich auf die rechte Seite und trag die Schuld des Reiches Juda: Vierzig Tage bürde ich dir diese Last auf, einen Tag für jedes Jahr, in dem sie sich von mir abgewandt haben. Richte deinen Blick dabei auf das belagerte Jerusalem, droh den Leuten mit erhobener Faust und kündige ihnen mein Gericht an. Schau, ich binde dich mit Stricken fest, damit du dich nicht von einer Seite auf die andere drehen kannst, bis du diese Zeit der Belagerung überstanden hast.

Hol dir vorher noch Weizen, Gerste, Bohnen, Linsen, Hirse und Dinkel, vermenge sie in einem Gefäß und backe Brot daraus. Solange du auf der linken Seite liegst, 390 Tage lang, sollst du davon essen. 10-11 250 Gramm Brot und einen Dreiviertelliter Wasser darfst du an einem Tag zu dir nehmen. Wieg sie genau ab, und dann iss und trink zu festgelegten Zeiten!

12 Bereite das Brot so zu wie Gerstenbrot und back es vor aller Augen über einem Feuer, das du mit Menschenkot anheizt! 13 Denn ich sage dir: Wenn ich die Israeliten verstoße und sie unter fremden Völkern leben, werden sie ebenfalls Brot essen müssen, das nach dem Gesetz als unrein gilt.« 14 Entsetzt erwiderte ich: »Ach, Herr und Gott! Du weißt doch, dass ich mich noch nie verunreinigt habe! In meinem ganzen Leben habe ich nie von einem verendeten oder zerrissenen Tier gegessen, nie habe ich unreines Fleisch in den Mund genommen!« 15 »Nun gut«, antwortete der Herr, »ich gestatte dir, das Brot auf dem Mist von Rindern statt auf Menschenkot zu backen.«

16 Und er fügte hinzu: »Du Mensch, schon bald lasse ich alle Vorräte in Jerusalem zu Ende gehen. Dann müssen sie genau wie du ihr Brot und Wasser streng einteilen. Ständig werden sie in Angst und Sorge leben. 17 Ja, Brot und Wasser werden so knapp, dass die Einwohner verzweifeln und sie einer nach dem anderen zugrunde gehen. So müssen sie für ihre Schuld büßen.«

Gottes Strafe trifft Jerusalem

Gott befahl mir: »Du Mensch, nimm ein scharfes Schwert! Benutz es als Schermesser und schneide dir damit die Haare und den Bart ab! Dann hol eine Waage und teile die Haare gleichmäßig auf! Ein Drittel sollst du mitten auf den Stein mit den Umrissen von Jerusalem legen und dort verbrennen, nachdem du die Belagerung der Stadt nachgestellt hast. Das zweite Drittel zerkleinere mit dem Schwert und verteile es rings um den Stein herum, das letzte Drittel streu in den Wind! Denn ich werde die Einwohner von Jerusalem mit gezücktem Schwert vertreiben. Behalte nur wenige Haare zurück und steck sie in dein Gewand! Aber auch von ihnen sollst du noch einige herausnehmen: Wirf sie ins Feuer und lass sie verbrennen! Das Feuer wird sich ausbreiten und das ganze Volk Israel verzehren.

Ich, Gott, der Herr, sage: Schaut euch Jerusalem an! Ich habe es zum Mittelpunkt aller Völker und Länder gemacht, aber seine Einwohner haben sich gegen mich aufgelehnt und meine Weisungen in den Wind geschlagen. Darin haben sie alle Völker ringsum übertroffen. Ja, sie verwerfen mein Gesetz, sie wollen nicht nach meinen Geboten leben. Nun kündige ich, Gott, der Herr, ihnen an: Weil ihr es noch schlimmer getrieben habt als die Völker um euch her, weil ihr euch nicht nach meinen Weisungen und Geboten, ja, nicht einmal nach Recht und Sitte der anderen Völker gerichtet habt, darum wende ich selbst, der Herr, mich nun gegen euch. Vor den Augen aller Völker ziehe ich euch zur Rechenschaft. Darauf könnt ihr euch verlassen! Weil ihr genau das tut, was ich verabscheue, werde ich euch so hart bestrafen, wie ich es vorher noch nie getan habe und auch nie wieder tun werde. 10 Mitten in Jerusalem werden Väter und Kinder sich gegenseitig töten und aufessen. Ich halte Gericht über euch und zerstreue die Überlebenden in alle Winde.

11 Ich, Gott, der Herr, schwöre, so wahr ich lebe: Weil ihr meinen heiligen Tempel mit all euren widerlichen Götzen und abscheulichen Taten entweiht habt, werde ich Jerusalem kahl scheren. Keine Träne werde ich um euch vergießen, kein Mitleid mit euch haben. 12 Ein Drittel von euch geht in der Stadt zugrunde – durch Seuchen oder Hunger. Das zweite Drittel wird vor den Mauern Jerusalems mit dem Schwert niedergemetzelt, und den Rest zerstreue ich in alle Winde – mit gezücktem Schwert werde ich sie vertreiben. 13 Ich nehme Rache und gieße meinen Zorn über euch aus. Wenn er euch mit voller Wucht trifft, werdet ihr erkennen, dass ich, der Herr, leidenschaftlich versucht habe, euch zu warnen.

14 Dich, Jerusalem, mache ich zu einem Trümmerhaufen. Alle Völker ringsum werden dich verhöhnen – ja, jeder, der an dir vorübergeht, 15 hat dann nur noch Hohn und Spott für dich übrig. Du wirst ein Bild des Schreckens und ein warnendes Beispiel für deine Nachbarvölker sein, wenn ich mit dir ins Gericht gehe und dich verurteile. Dann trifft dich die ganze Härte meines Zorns. Darauf gebe ich, der Herr, mein Wort.

16 Ihr Einwohner von Jerusalem, euren Brotvorrat lasse ich zu Ende gehen, der Hunger wird euch quälen wie tödliche Pfeile. 17 Hungersnot und wilde Tiere rauben euch die Kinder; Seuchen, Krieg und Gewalt richten euch zugrunde. Mein Wort gilt!«

Ich reiße eure Opferstätten nieder!

Da empfing ich noch einmal eine Botschaft vom Herrn. Er sprach zu mir: »Du Mensch, blick in die Richtung, wo die Berge Israels liegen, und kündige ihnen mein Strafgericht an! Sag ihnen: Ihr Berge Israels, hört die Botschaft des Herrn! Denn so spricht Gott, der Herr, zu euch Bergen und Hügeln, zu euch Bächen und Tälern: Schon bald vernichte ich eure Götzenopferstätten, ja, ich zerschlage sie mit dem Schwert. Eure Altäre werden niedergerissen und die Säulen für die Räucheropfer zerbrochen. Wer vor den abscheulichen Götzenstatuen geopfert hat, der wird an Ort und Stelle umkommen. Die Leichen werfe ich den Götterfiguren vor die Füße, und ihre Knochen verstreue ich rings um die Altäre. In ganz Israel liegen dann die Städte in Trümmern, und die Opferstätten auf den Bergen werden zerstört. Von den Altären bleibt nur noch Schutt übrig, die widerlichen Götzenstatuen liegen zerschmettert am Boden, und die Säulen für die Räucheropfer sind in tausend Stücke zerschlagen. Ja, all eure Machwerke wird es dann nicht mehr geben! Das ganze Land wird mit Leichen übersät sein, die Überlebenden aber werden erkennen, dass ich der Herr bin.

Denn ich werde von euch Israeliten einige übrig lassen, die dem Schwert entkommen und in fremde Länder verschleppt werden. Wenn dies alles eintrifft, werdet ihr wieder an mich denken. Ihr werdet begreifen, dass ich euch bestrafen musste, weil ihr[m] mir untreu geworden und anderen Göttern nachgelaufen seid. Dann werdet ihr euch selbst und euren grässlichen Götzendienst verabscheuen. 10 Ihr werdet erkennen, dass ich der Herr bin und euch dieses Unheil nicht umsonst angedroht habe.«

11 Weiter sprach Gott, der Herr, zu mir: »Schlag die Hände zusammen, stampf mit dem Fuß auf den Boden und rufe: Wehe den Israeliten! Das Unheil wird über sie hereinbrechen wegen ihrer abscheulichen Taten! Sie werden durch Krieg, Hunger und Seuchen umkommen. 12 Wer in der Fremde lebt, stirbt an der Pest; wer in Israel wohnt, fällt im Krieg; und wer dann noch übrig bleibt, wird verhungern. Ich lasse meinen Zorn an Israel aus, 13 damit sie erkennen, dass ich der Herr bin. Dann liegen die Toten rings um die Altäre zwischen den Götzenstatuen – überall dort, wo die Menschen ihren abscheulichen Göttern wohlriechende Opfer darbrachten, um sie zufriedenzustellen. Auf allen Bergen und Hügeln liegen dann die Leichen, unter jedem dicht belaubten Baum und unter jeder großen Eiche. 14 Drohend erhebe ich meine Hand, um ihr Land zu zerstören. Ich mache es zu einer menschenleeren, schrecklichen Einöde, von der Wüste Juda im Süden bis nach Ribla im Norden. Daran sollen sie erkennen, dass ich der Herr bin.«

Das bittere Ende

Wieder empfing ich eine Botschaft vom Herrn. Er sprach: »Du Mensch, höre, was ich, der Herr, zum Land Israel sage: Das Ende kommt, es kommt für das ganze Land! Israel, jetzt ist es aus und vorbei mit dir, ich lasse meinen Zorn gegen dich wüten und ziehe dich zur Rechenschaft. Jede deiner Sünden werde ich dir vergelten. Keine Träne werde ich um dich vergießen, kein Mitleid mit dir haben! Was du gesät hast, erntest du – ja, deine abscheulichen Taten hinterlassen ihre Spuren. Daran sollst du erkennen, dass ich der Herr bin.

5-6 Ein Unglück jagt das andere, das Ende ist gekommen! Ja, euer Ende ist da, niemand kann es mehr aufhalten. Darauf gebe ich, Gott, der Herr, mein Wort. Jetzt seid ihr an der Reihe, ihr Bewohner des Landes Israel. Die Zeit ist da, nahe ist der Tag: Dann hört man keine Jubelrufe mehr auf den Bergen, sondern bloß Schreie der Angst. Schon bald werdet ihr die ganze Gewalt meines Zornes zu spüren bekommen. Ich ziehe euch zur Rechenschaft; jede eurer Sünden werde ich euch vergelten. Keine Träne werde ich um euch vergießen, kein Mitleid mit euch haben! Was ihr gesät habt, erntet ihr – ja, eure abscheulichen Taten hinterlassen ihre Spuren. Daran sollt ihr erkennen, dass ich, der Herr, Gericht halte.

10 Passt auf, bald ist es so weit! Der Tag steht kurz bevor! Noch blühen Hochmut und Gewalt, 11 die Menschen stützen sich auf ihre Verbrechen und entfernen sich immer weiter von mir. Doch von ihnen wird nichts übrig bleiben – nichts von ihrem Reichtum, nichts von ihrer Pracht und von ihrem Ruhm. 12-13 Die Zeit ist gekommen, der Tag des Gerichts ist da! Wer jetzt noch etwas kauft, soll sich gar nicht erst darüber freuen! Wer etwas verkaufen muss, braucht nicht traurig zu sein. Er wird sein Hab und Gut sowieso nicht wiederbekommen, selbst wenn er am Leben bleibt. Denn mein glühender Zorn trifft das ganze Volk, keiner kann meine Strafe aufhalten. Weil alle schuldig sind, wird niemand sein Leben retten können. 14 Sie blasen die Posaune und bieten ihre ganze Streitmacht auf – aber keiner zieht mehr in den Krieg, denn schon vorher wird sie mein glühender Zorn vernichten.

15 In den Straßen wird das Schwert unter ihnen wüten, und in den Häusern werden sie durch Hunger und Seuchen umkommen. Wer auf dem Feld ist, wird von den Feinden niedergestochen, und wer sich in der Stadt aufhält, den raffen Hunger und Seuchen hinweg. 16 Wer entkommen kann, muss im Gebirge hausen. Jeder leidet unter seiner Schuld und klagt wie eine verängstigte Taube. 17 Wie gelähmt lassen alle die Hände sinken, und ihre Knie schlottern.

18 Sie haben Trauergewänder angelegt und zittern am ganzen Leib. Die Scham steht ihnen ins Gesicht geschrieben; die Köpfe haben sie sich kahl geschoren. 19 Silber und Gold werfen sie voller Ekel hinaus auf die Straßen, als wäre es Abfall. Denn ihre Schätze können ihnen nicht helfen an dem Tag, an dem mein Zorn gegen sie losbricht. Ihren Hunger können sie damit nicht mehr stillen und ihren Bauch nicht mit ihnen füllen. Im Gegenteil: Gold und Silber haben sie erst dazu verleitet, sich gegen mich aufzulehnen! 20 Sie waren stolz auf ihren kostbaren Schmuck und fertigten daraus ihre abscheulichen Götterfiguren. Darum habe ich dafür gesorgt, dass ihr Gold sie nun anwidert und sie es wegwerfen wie Müll.

21 Fremde Völker lasse ich über ihre Schätze herfallen, Gottlose werden sie plündern und die Götzenstatuen entweihen. 22 Ich wende mich ab von meinem Volk, ja, ich lasse zu, dass mein geliebtes Heiligtum geschändet wird: Räuber werden in den Tempel eindringen 23 und ein großes Blutbad anrichten. Denn[n] das ganze Land hat durch Mord und Totschlag Schuld auf sich geladen, und in Jerusalem herrscht die Gewalt. 24 Die grausamsten Völker lasse ich heranrücken, damit sie die Häuser in Besitz nehmen. Die Bewohner von Israel waren stolz auf ihre Macht, doch nun werde ich ihnen ihren Hochmut austreiben und alle ihre Heiligtümer entweihen.

25 Sie werden von Angst gepackt, sie suchen Frieden, aber es wird keinen geben. 26 Unglück über Unglück bricht über sie herein, eine Schreckensnachricht jagt die andere. Sie flehen die Propheten um Hilfe an, doch die haben keine Visionen; die Priester können das Volk nicht mehr in Gottes Gesetz unterweisen, und die führenden Männer wissen keinen Rat. 27 Der König trauert, seine hohen Beamten sind völlig verzweifelt, alle Bewohner des Landes zittern vor Angst. Ich gehe mit ihnen um, wie sie es verdient haben; ich richte sie so erbarmungslos, wie sie andere gerichtet haben. Dann werden sie erkennen, dass ich der Herr bin.«

Der Götzendienst im Tempel von Jerusalem

Im 6. Jahr der Verbannung unseres Volkes, am 5. Tag des 6. Monats, war ich in meinem Haus, und die führenden Männer von Juda saßen bei mir. Da wurde ich von Gott, dem Herrn, ergriffen, und er gab mir eine Vision. Ich sah eine lodernde Gestalt, die der eines Mannes glich. Unterhalb der Hüfte sah sie aus wie Feuer, oberhalb leuchtete ihr Leib wie glänzendes Metall. Sie streckte so etwas wie eine Hand nach mir aus und packte mich bei den Haaren. In der Vision hob mich der Geist Gottes weit über die Erde empor und brachte mich nach Jerusalem, zum Nordtor des inneren Tempelvorhofs. Dort stand eine Götzenstatue, die den leidenschaftlichen Zorn des Herrn erregte.

Plötzlich erblickte ich den Gott Israels in seiner Herrlichkeit, so wie ich ihn schon im Tal am Fluss Kebar gesehen hatte. Er sprach zu mir: »Du Mensch, richte deinen Blick nach Norden!« Ich schaute nach Norden und sah auf der anderen Seite des Tores einen Altar; im Toreingang davor stand die Götzenstatue, über die der Herr so zornig war. »Du Mensch«, sagte er zu mir, »siehst du, was das Volk Israel hier tut? Es opfert abscheulichen Götzen, um mich aus meinem Heiligtum zu vertreiben. Doch warte – es kommt noch schlimmer!«

Er brachte mich zum Eingang des äußeren Tempelvorhofs, und dort entdeckte ich ein Loch in der Mauer. Gott befahl mir: »Du Mensch, durchbrich die Mauer!« Ich tat es und stieß dahinter auf eine Tür. Dann forderte er mich auf: »Geh hinein und sieh, was für abscheuliche Dinge sie dort treiben!«

10 Ich ging durch die Tür und sah: In die Wände ringsum waren Bilder von Tieren eingeritzt, die das Volk Israel als Götter verehrte – Bilder von Kriechtieren und anderem scheußlichen Getier. 11 Siebzig der führenden Männer Israels standen davor, unter ihnen auch Jaasanja, der Sohn von Schafan. Jeder hielt eine Räucherpfanne in der Hand, und eine Duftwolke von Weihrauch stieg empor.

12 Gott sprach zu mir: »Hast du gesehen, Mensch, was die führenden Männer des Volkes Israel treiben? Jeder von ihnen betet hier heimlich seine eigenen Götterbilder in einer Kammer an. Sie behaupten: ›Der Herr sieht uns nicht, er hat das Land verlassen!‹ 13 Doch warte – es kommt noch schlimmer!«

14 Er brachte mich wieder zum Nordtor des inneren Tempelvorhofs; dort saßen Frauen, die den Tod des Gottes Tammus[o] beweinten. 15 Gott fragte mich: »Hast du das gesehen, Mensch? Aber es kommt noch schlimmer!«

16 Er brachte mich in den inneren Tempelvorhof. Am Eingang zum Heiligtum, zwischen der Vorhalle und dem Altar, standen etwa fünfundzwanzig Männer mit dem Rücken zum Tempel und dem Gesicht nach Osten. Sie warfen sich vor der Sonne im Osten nieder und beteten sie an.

17 Da sagte Gott zu mir: »Hast du das gesehen, Mensch? Sind den Leuten von Juda die abscheulichen Dinge noch nicht genug, die sie hier treiben? Das ganze Land haben sie mit Unrecht und Gewalt erfüllt und mich damit immer wieder beleidigt. Sieh nur, wie sie sich bei ihren Opferfeiern Weinreben an die Nase halten![p] 18 Darum lasse ich sie nun meinen Zorn spüren. Keine Träne werde ich um sie vergießen, kein Mitleid mit ihnen haben! Auch wenn sie mir mit ihrem Geschrei in den Ohren liegen – ich werde sie nicht erhören!«

Gottes Urteil über Jerusalem wird vollstreckt

Ich hörte, wie Gott mit lauter Stimme rief: »Kommt und vollstreckt das Urteil über Jerusalem! Greift zu den Waffen, um die Menschen in der Stadt zu vernichten!« Da kamen sechs Männer durch das obere Tor an der Nordseite des Tempels, jeder von ihnen hielt eine tödliche Waffe in der Hand. Bei ihnen war ein Mann, der ein Gewand aus Leinen trug. An seinem Gürtel hing die Ausrüstung eines Schreibers. Die Männer kamen näher und stellten sich neben den bronzenen Altar.

Der Herr, der Gott Israels, entfernte sich von den Keruben[q], über denen er in seiner Herrlichkeit thronte, und ließ sich an der Türschwelle des Tempels nieder. Dann rief er den Mann mit dem Leinengewand und dem Schreibzeug am Gürtel zu sich und befahl ihm: »Geh durch ganz Jerusalem und mache ein Zeichen[r] auf die Stirn all der Menschen, die seufzen und klagen über die abscheulichen Dinge, die in dieser Stadt getrieben werden!« Ich hörte, wie er zu den anderen Männern sagte: »Geht hinter ihm her durch die Stadt und schlagt zu! Zeigt kein Mitleid, verschont niemanden! Tötet die alten und die jungen Männer, die Frauen, Mädchen und Kinder! Bringt sie alle um! Doch rührt keinen von denen an, die das Zeichen auf der Stirn haben! Hier in meinem Heiligtum sollt ihr beginnen!«

Da machten sie sich ans Werk und töteten zuerst die Führer des Volkes, die vor dem Tempel standen. Dann sagte Gott zu den sechs Männern: »Bringt die Leichen in die Vorhöfe des Tempels – ja, entweiht ihn damit! Dann geht in die Stadt!« Sie gingen hinaus, und während sie dort die Menschen niedermetzelten, blieb ich allein auf dem Tempelvorhof zurück.

Ich warf mich zu Boden und schrie: »Ach, Herr, mein Gott! Bist du so zornig über Jerusalem, dass du auch noch den letzten Rest des Volkes ausrotten willst?« Da antwortete er: »Die Leute von Israel und Juda haben unendlich viel Schuld auf sich geladen und hören einfach nicht auf damit! Im ganzen Land herrschen Mord und Totschlag, und in Jerusalem beugt man an jeder Ecke das Recht. Sie behaupten: ›Der Herr hat das Land verlassen, er sieht uns nicht!‹ 10 Darum werde ich keine Träne um sie vergießen und kein Mitleid mit ihnen haben. Jetzt bekommen sie von mir, was sie verdienen!«

11 In diesem Moment kam der Mann mit dem Leinengewand und dem Schreibzeug zurück und berichtete dem Herrn: »Ich habe getan, was du mir befohlen hast!«

10 Ich schaute auf das Gewölbe über den Köpfen der Keruben. Darüber erschien etwas, das aussah wie ein Thron aus Saphir. Gott sagte zu dem Mann, der das Gewand aus Leinen trug: »Geh zu den Keruben, die dort über den Rädern stehen. Zwischen ihnen findest du ein Feuer mit glühenden Kohlen. Nimm zwei Hände voll und streu sie über die Stadt!« Da ging der Mann vor meinen Augen in die Mitte zwischen die vier Gestalten. Sie standen gerade an der Südseite des Tempels, und eine Wolke erfüllte den inneren Vorhof.

Der Herr in seiner Herrlichkeit erhob sich vom Thron über den Keruben und ließ sich an der Schwelle des Tempels nieder. Der ganze Tempel wurde von der Wolke erfüllt, und der Vorhof erstrahlte in seinem Licht. Das Flügelrauschen der Keruben war bis zum äußersten Vorhof zu hören. Es klang wie die Stimme des allmächtigen Gottes. Als nun Gott dem Mann mit dem Leinengewand befohlen hatte: »Hol von dem Feuer, das zwischen den Rädern bei den Keruben brennt!«, da ging er hin und stellte sich neben ein Rad. Eines der Wesen streckte seine Hand nach dem Feuer aus, das zwischen ihnen brannte, nahm glühende Kohlen und legte sie in die Hände des Mannes. Der ging damit hinaus in die Stadt.

Der Herr verlässt seinen Tempel

Ich bemerkte, dass jeder von den Keruben unter seinen Flügeln so etwas wie eine menschliche Hand hatte. Neben den Keruben sah ich je eines der vier Räder. Die Räder schimmerten wie Edelsteine 10 und waren alle gleich gebaut: Mitten in jedes Rad war ein zweites im rechten Winkel eingefügt. 11 Darum konnten sie in jede beliebige Richtung laufen und brauchten sich dabei nicht umzudrehen. Wohin das erste von ihnen lief, dorthin liefen die anderen auch, ohne zu wenden. 12-13 Der ganze Körper der Keruben, ihr Rücken, ihre Hände und ihre Flügel waren überall mit Augen bedeckt. Auch die Räder, die vor meinen Ohren »Wirbelwind«[s] genannt wurden, waren voller Augen.

14 Jede Gestalt hatte vier Gesichter: das eines Keruben, das eines Menschen, das eines Löwen und das eines Adlers. 15 Es war dieselbe Erscheinung, die ich schon am Fluss Kebar gesehen hatte. Wenn die Keruben sich erhoben 16 und fortbewegten, dann liefen auch die Räder mit; und wenn sie ihre Flügel schwangen, um zu fliegen, dann waren die Räder immer an ihrer Seite. 17 Blieben die Keruben stehen, dann standen auch die Räder still. Hoben sie sich vom Boden, dann erhoben sich auch die Räder mit ihnen. So taten sie immer dasselbe, denn ein und derselbe Geist lenkte sie.

18 Der Herr verließ die Schwelle des Tempels und nahm wieder den Platz über den Keruben ein. 19 Diese schwangen ihre Flügel und erhoben sich vor meinen Augen von der Erde. Sie bewegten sich fort, und die Räder liefen mit ihnen. Vor dem Eingang am Osttor des Tempels blieben sie stehen. Über ihnen thronte der Gott Israels in seiner Herrlichkeit.

20 Es waren dieselben Lebewesen, die ich schon am Fluss Kebar unter Gottes Thron gesehen hatte; und nun erkannte ich, dass es Keruben waren. 21 Jeder von ihnen hatte vier Gesichter und vier Flügel. Unter ihren Flügeln hatten sie so etwas wie menschliche Hände. 22 Auch ihre Gesichter waren dieselben wie die am Fluss Kebar. Wohin sie auch liefen, in jede Richtung blickte eines ihrer Gesichter.

Gottes Strafe für die führenden Männer von Jerusalem

11 Der Geist Gottes hob mich empor und brachte mich zum Osttor des Tempels. Am Eingang standen fünfundzwanzig Männer; unter ihnen sah ich Jaasanja, den Sohn von Asur, und Pelatja, den Sohn von Benaja. Beide gehörten zu den Führern Israels. Gott sprach zu mir: »Du Mensch, das sind die Männer, die in dieser Stadt böse Pläne schmieden und mit ihren Ratschlägen andere ins Unglück stürzen. Sie prahlen: ›In nächster Zeit brauchen wir keine neuen Häuser zu bauen! Unsere Stadt ist so sicher wie ein Topf, und wir sind das gute Fleisch darin.‹ Darum teile ihnen mit, was ich zu sagen habe – ja, du Mensch, kündige ihnen an, welches Unheil sie treffen wird!«

Der Geist des Herrn kam über mich und befahl mir: »Richte ihnen diese Botschaft des Herrn aus: Ihr Israeliten, ich habe gehört, was ihr gesagt habt, und ich kenne eure geheimsten Gedanken! Ihr habt den Tod vieler Menschen auf dem Gewissen, überall in den Straßen liegen die Leichen.

Darum sage ich, Gott, der Herr: Die Leichen, mit denen ihr die Stadt gefüllt habt – sie sind das Fleisch! Die Stadt ist der Topf, euch aber wird man daraus vertreiben. Ihr habt Angst vor dem Schwert, darum werde ich das Schwert gegen euch wenden. Darauf könnt ihr euch verlassen! Ich jage euch aus Jerusalem fort und gebe euch in die Gewalt von Fremden. Ich halte Gericht über euch 10 und lasse euch durch das Schwert umkommen. Bis hin zur Grenze Israels werde ich mein Urteil an euch vollstrecken; daran sollt ihr erkennen, dass ich der Herr bin. 11 Jerusalem wird für euch nicht der sichere Topf sein, und ihr seid nicht das gute Fleisch darin. Nein, bis zur Grenze Israels werdet ihr meine gerechte Strafe zu spüren bekommen. 12 Wenn das alles geschieht, sollt ihr endlich einsehen, dass ich der Herr bin. Meine Weisungen habt ihr in den Wind geschlagen und meine Gebote missachtet; stattdessen habt ihr Recht und Sitte eurer Nachbarvölker angenommen!«

13 Während ich dies weissagte, fiel Pelatja, der Sohn von Benaja, tot um. Ich warf mich zu Boden und schrie laut: »Ach, Herr, mein Gott, willst du auch den letzten Rest von Israel noch ausrotten?«

Trost für die Verschleppten: Ich werde ihr Gott sein!

14 Da empfing ich noch eine Botschaft vom Herrn. Er sprach zu mir: 15 »Du Mensch, die Einwohner von Jerusalem sagen über deine Verwandten und Stammesbrüder und über alle Israeliten, die nach Babylonien verschleppt worden sind: ›Der Herr hat sie verstoßen,[t] darum gehört das Land nun uns.‹ 16 Denen, die so reden, sollst du ausrichten: So spricht Gott, der Herr: Es ist wahr, ich habe sie weit weg zu anderen Völkern vertrieben und in viele Länder zerstreut. Sie leben fern von meinem Tempel, aber ich selbst bin ihnen in dieser kurzen Zeit[u] zu einem Heiligtum geworden. 17 Und ich, der Herr, werde sie auch wieder sammeln und sie aus all den Ländern zurückholen, in die sie verschleppt wurden. Dann gebe ich ihnen das Land Israel zurück.

18 Wenn sie in ihre Heimat zurückkehren, werden sie jede Spur von dem abscheulichen Götzendienst beseitigen, den man dort trieb. 19 Ich will ihnen ein ungeteiltes Herz und einen neuen Geist geben. Ja, ich nehme das versteinerte Herz aus ihrer Brust und gebe ihnen ein lebendiges Herz. 20 Dann werden sie nach meinen Weisungen leben, meine Gebote achten und sie befolgen. Sie werden mein Volk sein, und ich werde ihr Gott sein. 21 Die aber, deren Herz an den widerlichen Götzen und Gebräuchen hängt, werde ich bestrafen. Alles, was sie getan haben, fällt auf sie zurück. Mein Wort gilt!«

Der Herr verlässt Jerusalem

22 Dann schwangen die Keruben ihre Flügel, und die Räder bewegten sich mit ihnen. Darüber thronte der Gott Israels in seiner Herrlichkeit. 23 Er erhob sich aus der Stadt und ließ sich auf dem Berg nieder, der östlich von Jerusalem liegt. 24 In meiner Vision hob Gottes Geist mich empor und brachte mich wieder zu den Verschleppten nach Babylonien. Dann verschwanden die Bilder, die ich in der Vision gesehen hatte. 25 Ich erzählte den Judäern alles, was der Herr mir gezeigt hatte.

Hesekiel packt sein Bündel – eine Botschaft für Jerusalem

12 Wieder empfing ich eine Botschaft vom Herrn: »Du Mensch«, sagte er, »du lebst mitten unter einem widerspenstigen Volk. Sie haben Augen, sehen aber nichts; sie haben Ohren, doch sie wollen nicht hören, denn sie lehnen sich gegen mich auf.

Du aber, Mensch, pack dir ein Bündel, wie es Flüchtlinge bei sich tragen! Verlass am helllichten Tag dein Zuhause und mach dich auf den Weg, so dass alle es sehen können! Vielleicht gehen diesem widerspenstigen Volk dann die Augen auf. Trag dein Flüchtlingsgepäck am Tag aus dem Haus, während sie dir zuschauen. Am Abend sollst du dann fortziehen wie jemand, der in die Verbannung geführt wird: Brich vor ihren Augen ein Loch in deine Hauswand und zwäng dich hindurch! Nimm dein Bündel auf die Schultern und, sobald es dunkel wird, zieh damit fort! Verhüll dein Gesicht, damit du das Land nicht mehr siehst, das du verlassen musst. So mache ich dich zu einem Mahnzeichen für die Israeliten, damit sie erkennen, was sie erwartet!«

Ich tat, was Gott mir befohlen hatte: Bei Tag trug ich mein Flüchtlingsgepäck aus dem Haus, und am Abend brach ich mit der Hand ein Loch in die Hauswand und kroch hinaus. Vor aller Augen packte ich das Bündel in der Dunkelheit auf meine Schultern.

Am nächsten Morgen gab der Herr mir folgende Botschaft: »Du Mensch, die Israeliten, dieses widerspenstige Volk, haben dich doch gefragt, was dein Verhalten zu bedeuten hat. 10 Ich, Gott, der Herr, lasse ihnen sagen: Diese Botschaft gilt dem Herrscher[v] in Jerusalem und allen Israeliten, die dort wohnen. 11 Mach ihnen klar, dass sie an dir sehen können, was ihnen bevorsteht: Sie werden gefangen in die Verbannung geführt. 12 Ihr Herrscher nimmt in der Dunkelheit sein Bündel auf die Schultern und flieht durch ein Loch in der Stadtmauer, das für ihn herausgebrochen wurde. Er verhüllt sein Gesicht, denn er wird das Land, das er verlässt, nie wiedersehen[w]. 13 Ich werfe mein Fangnetz über ihn, und er wird sich darin verfangen. Ich bringe ihn zur Stadt Babylon, in das Land der Chaldäer; dort wird er sterben, ohne die Stadt gesehen zu haben[x]. 14 Sein ganzes Gefolge und die Kriegsleute, mit denen er sich umgab, werde ich in alle Winde zerstreuen. Ja, ich verfolge sie mit gezücktem Schwert, 15 ich vertreibe sie zu fremden Völkern und in fremde Länder, damit sie erkennen, dass ich der Herr bin. 16 Krieg, Hunger und Seuchen werden viele dahinraffen. Doch ich selbst sorge dafür, dass ein kleiner Rest von ihnen am Leben bleibt. Sie sollen den Völkern, bei denen sie wohnen, von den abscheulichen Taten der Israeliten erzählen. So sollen auch diese Völker erfahren, dass ich der Herr bin.«

Hesekiels Zittern – ein Zeichen für Israel

17 Wieder bekam ich eine Botschaft vom Herrn. Er befahl mir: 18 »Du Mensch, nur noch mit Zittern sollst du dein Brot essen, und wenn du trinkst, sollst du beben vor Angst! 19 Sag deinem Volk in der Verbannung: So spricht Gott, der Herr: Die Menschen, die in Jerusalem und in ganz Israel übrig geblieben sind, werden voller Angst ihr Brot essen und zitternd vor Entsetzen ihr Wasser trinken. Denn ihr Land wird verwüstet und seines ganzen Reichtums beraubt sein. Das ist die Strafe für all die Gewalttaten, die von den Menschen dort begangen wurden. 20 Die blühenden Städte werden in Trümmern liegen, und die fruchtbaren Felder sind dann nur noch eine trostlose Wüste. Daran sollt ihr erkennen, dass ich der Herr bin.«

Hoffnung für Alle (HOF)

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